Die Unergründlichen

Die Freie Universität will ihre Studenten zum Gründen bewegen. Sie hilft beim Verfassen von Business-Plänen und gibt Marketing-Seminare. Die Studenten sind abgeschreckt. Sie brauchen keine Betriebswirtschaftslehre, sondern eine andere Mentalität.

Von Laurence Thio

Dahlem Dorf: Unternehmertum im Kleinen.

Dahlem Dorf: Unternehmertum im Kleinen. Illustration: Michi Schneider


Leider ausgeliehen! Martin Fröhlich sitzt in der Bibliothek und schreibt an seiner Abschlussarbeit. Er benötigt Fachbücher, doch sie sind nicht verfügbar. Sein Kommilitone Felix Hofmann hat ebenfalls Ärger mit den Büchern. Er bezahlt am Flughafen ständig Gepäckzuschlag, weil die Literatur für die Uni zu schwer ist. Zurück in Deutschland gründen beide PaperC, eine Online-Plattform, die Fachbücher jederzeit zugänglich macht. Gründer sind in Deutschland rar, studentische ganz besonders. Eine Studie der Universität St. Gallen misst die »unternehmerische Kraft« der Studierenden im internationalen Vergleich. Deutschland belegt regelmäßig den letzten Platz.

Schlipsträger schrecken ab

Profund möchte das ändern. Die Gründerförderung der FU hält Weiterbildungsangebote bereit, richtet Wettbewerbe aus und stellt Büroräume und Kontakte zur Verfügung. Einmal im Jahr gibt Profund eine PR-Broschüre heraus. Das häufigste Motiv: Grinsende Studenten an Konferenztischen. Das Vokabular und die Schlipsträger können abschreckend wirken: »Ich fürchte, dass ich bei Profund BWL lernen soll«, sagt Phillip, Biologiestudent im 6. Semester. Désirée, Literaturstudentin, pflichtet bei: »Ein Unternehmen zu gründen, ist das Letzte was ich mir vorstellen kann«. Profund hat 123 Erstberatungen für Gründungsinteressierte im Jahr 2008 durchgeführt. Die FU hat insgesamt über 31 000 Studierende.

Mit einer Unternehmerkultur ist es in Deutschland nicht weit her. Der Global Entrepreneur Monitor von 2006 vergleicht international die Gründungsaktivität. Deutschland rangiert auf Platz 34 von 42. Das Image der Unternehmensgründer ist belastet, oft werden sie mit raffgierigen Managern gleich gesetzt. Hinzu kommt das ungefähr 80 Prozent aller Gründungen in Deutschland nach fünf Jahren wieder vom Markt verschwunden sind. Nach einer Studie der Uni St. Gallen streben mehr als 72 Prozent der deutschen Studierenden eine Erwerbstätigkeit im Angestelltenverhältnis an. Der Witz: So viele Angestellte braucht es in Zukunft überhaupt nicht. Dabei gilt die Infrastruktur für Gründer in der Bundesrepublik als ausgezeichnet. Vielleicht ist das gerade der deutsche Denkfehler: Gründungen und Innovationen lassen sich nicht von oben verordnen. Gründertum erfordert eine andere Mentalität.

»Das ist wie iTunes für Fachtexte!«

»Es gibt einfach zu wenige Leute, die etwas riskieren«, sagt Martin Fröhlich von PaperC. Fröhlich ist hochgewachsen, trägt einen graukarierten Anzug, eine große Hornbrille und hat die blonden Haare zum Zopf gebunden. Er stammt aus Sachsen und war einige Zeit Deutschrock-Musiker. Sein Partner Felix Hofmann hat Technologiemanagement studiert und entwickelte Brettspiele für Ravensburger. Hofmann, der Stratege und Fröhlich, der umtriebige Kreative, haben sich an der Hochschule für Recht und Wirtschaft in Berlin kennen gelernt.

Fröhlich präsentiert PaperC an seinem Notebook. Er kann sich selbst kaum halten: »Das ist wie iTunes für Fachtexte!« Viele seiner Sätze beendet er mit einer Frage, die sich mehr nach einer Feststellung anhört: »Geil, oder?« PaperC ist eine Internetplattform auf der wissenschaftliche Fachtexte kostenlos gelesen werden können. Ganze Bücher stehen im pdf-Format online. Per Volltext-Suche lassen sich die Bücher nach Schlagworten durchsuchen. Möchte der Nutzer den Text online bearbeiten, Textstellen markieren, Notizen an den Rand schreiben und Zitate kopieren, kann er die Seite für fünf Cent kaufen. Die Idee von PaperC ist simpel, aber sie könnte das Verlagswesen komplett umkrempeln.

Schnelle Millionen mit Fachbüchern?

Wenn die Verlage etwas wie die Pest hassen, dann dass ihre Bücher kostenlos ins Netz gestellt werden. Doch den Verlagen fehlt für das digitale Zeitalter ein Geschäftsmodell. Das Interesse an PaperC ist dementsprechend groß. Sie sind bei der renommierten Oxford University Press eingeladen. Der Holtzbrink-Verlag, der bereits StudiVZ erwarb, hat bereits einen Kauf angeboten. Fröhlich ist optimistisch: »Wenn wir richtig verhandeln, könnten Millionen zusammen kommen. Das geht sehr schnell«. Das Ziel ist es allerdings verlagsunabhängig zu bleiben. Zurzeit kooperieren Springer, Gabler, UTB und Pearson mit PaperC. Fachlich liegt der Schwerpunkt auf Wirtschaft, Recht und Informatik – Medizin und Geisteswissenschaften sollen in Kürze folgen. Über 1000 Buchtitel sind bereits online, ab Juni soll die Zahl verdreifacht werden.

Einer, der sofort an die Idee von PaperC glaubte, war Professor Günter Faltin. Faltin ist Leiter des Arbeitsbereich Entrepreneurship an der FU und nach eigenen Angaben der größte Versandhändler von Darjeeling-Tee in Deutschland. Sein Erfolg als Unternehmer geht auf die »Tee-Kampagne«, einem ehemaligen Uniprojekt, zurück. Seitdem hat Faltin viele Ausgründungen von FU-Studenten begleitet. Er ist vehementer Vertreter einer neuen Unternehmerkultur. Faltins Standpunkt: Das Gründerbild in unserer Gesellschaft ist überholt. »Wir müssen lernen Entrepreneurship von Business Administration zu unterscheiden!«, sagt Faltin. Das heißt beim Gründen geht es längst nicht um BWL-Kenntnisse und Kapital. Wichtiger ist die Entwicklung tragfähiger, unkonventioneller Ideenkonzepte. »Genau das kommt in den gängigen Gründungsberatungen in Deutschland zu kurz«, so Faltin.

Sein Ansatz wirbt dafür, dass mehr Menschen gründen. Ein Gründer muss kein Alleskönner sein. Er kann ein schlechter Manager sein oder nichts von Marketing verstehen. Er muss diese Arbeitsbereiche nur von jemandem erledigen lassen, der sie beherrscht. »Ein Gründer kann am Laptop sitzen und braucht nur einzelne Komponenten seines Unternehmens zu koordinieren«, sagt Faltin. Durch das Internet und verschiedene Dienstleister im Netz haben sich die Voraussetzungen zum Gründen merklich vereinfacht. Für den Gründer bleibt genug Raum an seiner Idee zu arbeiten und den Horizont nicht aus dem Blick zu verlieren.

Gerade gründungsferne Schichten, also Sozial- und Geisteswissenschaftler, profitieren von dieser Art des Gründens. Wenn sie kein BWL können, dann sollten sie sich jemanden dafür suchen. Bisher ist das allerdings bei den wenigsten Studierenden angekommen. Es gibt grundsätzliche Gründungshindernisse: Die FU wünscht sich eine neue Unternehmerkultur. Die entwickelt sich nicht über Nacht. Umgang mit Unsicherheit, Risikofreude und Unabhängigkeit stehen auf keinem Lehrplan – Hochschulbürokratie und Bachelorsystem führen zu einer Kultur der Unselbständigkeit. Noch ein Hindernis ist die Berührungsangst zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Während Ingenieurwissenschaften, Chemie und Informatik als verwertungsorientierte Studiengänge gelten, haben Geisteswissenschaftler den Kleinunternehmer nicht auf dem Karriereplan. Das ist wesentlich für eine geisteswissenschaftlich geprägte Universität wie die FU. Bei den Ausgründungen, die Profund fördert und auf ihrer Website vorstellt, war in den letzten drei Jahren nur eine aus den Kulturwissenschaften.

Profunde Probleme

Profund möchte gerne alle Studierenden ansprechen, schafft es aber nicht. Die Interessen der Studierenden unterscheiden sich zu stark. Aber auch Gründungswillige sind von Profund nicht überzeugt. »Ich hatte das Gefühl, dass die Universität die Studienorganisation nur schwerlich in den Griff bekommt. Wie soll sie dann erst dazu fähig sein, einer jungen dynamischen Idee auf die Sprünge zu helfen?«, fragt Christoph Fahle. Er hat kurz nach seinem Studium das Betahaus mitbegründet. Das Betahaus vermietet Schreibtischplätze in einem Loft in Kreuzberg an Freiberufler. Das zieht vor allem Leute aus der Berliner Kreativwirtschaft an und schafft Netzwerke und Synergie-Effekte. Die deutschen Medien betrachteten das Betahaus als soziale Innovation.

Eine Gründungsförderung, die es anders als Profund machen möchte, ist »Creare! Start Up«. Das Programm richtet sich insbesondere an Geistes- und Sozialwissenschaftler. Wie versucht Creare die Studenten zu erreichen? »Wir wollen keinen besonders starken Bezug zur Hochschule«, sagt die Projektleiterin Ines Robbers. Bei Creare arbeitet man mit speziellen Methoden: Geschäftsideen werden auf Bierdeckeln notiert. Statt einem Businessplan wird ein Gründertagebuch geführt, »denn eine Gründung ist wie eine Abenteuerreise«, so Robbers. Für diese Reise stehen die Studenten allerdings nicht Schlange, auch nicht bei Creare, räumt Robbers ein. Dabei gehe es nicht einmal darum, erfolgreich zu gründen. Es geht darum, das Gründen auszuprobieren. Ines Robbers sagt: »Die Studenten brauchen die Bereitschaft zu scheitern und daraus zu lernen.«

Martin Fröhlich will noch nicht sagen wie es weitergeht: »PaperC ist erst der Anfang!« Fröhlich schaut vielsagend. Egal ob sich PaperC letztlich als die Plattform für Fachbücher etablieren wird oder wieder in der Versenkung verschwindet. Eines bleibt Fröhlich und Hofmann: der Mut, etwas zu unternehmen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. 3. Juni 2009

    […] Laurence Thio hat sich unterdessen mit der Frage beschäftigt, wie die FU ihre Studenten beim Gang in die Selbstständigkeit unterstützt. Gründungsförderer wie Profund und Creare erreichen eher wenige Studierende und noch weniger […]

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