Omas Oberlochmühle

Im Sommer ist Dahlem nur ein Dorf wie jedes andere. Keine Studenten, keine Neuigkeiten. Auch wir packen unsere Koffer und schauen uns woanders um. Fanny Duelli zog es zu ihrer Oma ins Erzgebirge.

oma

Omas Gartenidyll. Rechts ein Haus der Familie Braun.

Text und Foto: Fanny Duelli

Meine Oma und ich kommen geschafft nach einem langen Tag in Dresden am Bahnhof von Freiberg im Erzgebirge an. „Halt nen Daum‘, dass der Schlachbaum ne verrammeld is“, sagt Oma. Ich verstehe nicht recht, folge aber ihrem Blick zu den Schranken des Privatparkplatzes, wo ihr Auto steht. Daumen halten bringt nichts, die Schranken sind unten. Dank Mini-Laptop haben wir aber schnell die Nummer des Vermieters heraus und wenig später flitzen wir in Omas sportlichem Zweisitzer nach Hause. Vorbei an Wiesen und Wäldern, Bergen und Bächen gelangen wir nach Oberlochmühle: ein verschlafenes Dorf nahe der tschechischen Grenze.

Oberlochmühle zählt etwa 80 Einwohner, der Altersdurchschnitt liegt kaum darunter. Die Häuser sind stets akkurat mit allerlei Holzspielzeug dekoriert. Im Winter glaubt man sich in der Heimat des Weihnachtsmanns . Oberlochmühle ist der Ort meiner Kindheit und der Heimatort meiner Großmutter, die ich dort für zwei Tage besuche. Hier verwandelt sich Langeweile schnell in neurotische Trägheit. Dann kann ich nichts, aber auch gar nichts mehr tun, außer mich vom Frühstück zum Mittagstisch und vom Kaffe zum Abendessen zu bewegen.

Der einzige „Konsum“ im Umkreis von 10 Kilometern hat zwar schon vor vielen Jahren geschlossen, doch entgeht man selbst hier nicht der Welt des Konsums. Gegenüber vom Haus meiner Oma befinden sich Werkstatt und Laden der Familie Braun. Sie stellen Holzspielzeug her, seit über 20 Jahren (wobei das in dieser erzgebirgstypischen Branche eigentlich keine lange Zeit ist). Seit meiner Kindheit wundere ich mich über die Brauns, deren „Clan“ in diesem 20-Häuser-Dorf allein vier Häuser in einer Reihe besitzt. Die geschäftstüchtigen Brauns sind wohl die einzigen Oberlochmühler, die sich um das Gerede der Nachbarn wenig scheren. Alle anderen, meine Oma eingeschlossen, geben auf die Meinung aller anderen sehr viel. So macht sich meine Oma Gedanken, ob sie sonntags die Wäsche raushängen kann, ohne dadurch „ludrig“ zu wirken.

In Oberlochmühle gibt es genau einen Gasthof. Beim Eintreten fühle ich mich immer an Grosz-Karikaturen erinnert. Hier treffen sich die Alten und die Arbeitslosen zum Frühschoppen und vergessen beim Reden über früher (also, vor dem Mauerfall) die Zeit. Die Jungen zieht es nach Chemnitz oder Berlin, wenigstens nach Freiberg. Auch meine Sandkastenfreundin Sissy versucht ihr Glück heute in München. Meine Oma betreibt in Oberlochmühle eine Familienpension. Nächstes Jahr komm ich wieder.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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7 Responses

  1. Die Lochmühle war für meine Vorfahren nach 1945 zur zweiten Heimat geworden, hier ist mein Vater groß geworden, die Lochmühle war immer seine Heimat, nur sterben durfte er dort nicht, leider. Im übrigen war es dir Familie Braun, die meine Urgroßeltern, meine Großmutter und meinen Vater aufnahm, nachdem sie kurze Zeit bei einem kinderlosen Holzdrechslerehepaar gewohnt hatten. Ich habe die ersten sechs Jahre meines Lebens da verbracht, und während der Schulzeit fast jedes Wochenende und alle Ferien. Auch für mich ist es meine Heimat, da, wo ich seit Jahrzehnten wohne (Dresden und Heidenau), fühle ich mich nicht wohl. Seit vier Jahren bin ich krank, nicht einmal zur Beerdigung eines Kinder-und Jugendfreundes konnte ich fahren. Mir fehlt meine Heimat. Und “geschäftstüchtig” ist in der Lochmühle niemand, aber arbeitsam und sparsam sind die Lochmühler, besser gesagt “zsammnamsch”. Wer die Lochmühle wirklich kennen lernen will, soll im Spätsommer einmal “frieh um viere” auf den Klötzerhübel gehen, und auf die Lochmühle schauen, wenn die Nebelschwaden hochziehen. Oder einmal in den Busch (Wald) gehen, und eine Hand voll Erde nehmen und daran riechen. Schauen Sie doch einmal in den Wildbach, und beobachten Sie das Spiel der Foren (Forellen). Und wenn Sie im Herbst wiederkommen würden, und die ersten Herbststürme ihre Kraft entfalten, was glauben Sie, wie herrlich es ist, im Gasthof am Ofen zu sitzen und den Erzählungen der Alten zu lauschen. Die Lochmühle ist kein beliebiges Dorf, sondern eine Lebenseinstellung. Ich würde sonstwas tun, nur um noch einmal auf den Klötzerhübel “naufsteign” zu können, am liebsten mit meinem Vater.

  2. S. Mittelbach sagt:

    Okay, villeicht ein kleines bisschen übertrieben mit dem Alter & den meißten und nicht nur der Familie Braun ist es egal was ‘die Anderen sagen’ mir & meiner Familie zum Beispiel.
    & deine ‘Sandkastenfreundin Sissy’ hat Glück in München.
    Sie ist zufällig meine Schwester. :’D

    S. Mittalbach

  3. S. Braun sagt:

    Ich wohne in Oberlochmühle.
    Und mir gefällt´s hier. 🙁
    Auch wenn hier nicht so viel los ist wie in Berlin usw. 😀

  4. Ulf Hofmann sagt:

    Wie ich hier lese und am We wieder erfahren habe nehmen oder nahmen das hier einige nicht ganz emotiontslos hin. Nur nochmal zur Erklärung, auch an die Erstellerin des Artikels,ich mußte schmunzeln über die doch teilweise etwas überzogene Darstellung und dachte ich ergreif mal Partei, da ich am We auch des Öfteren arbeitslos bin und mit den ewig Gestrigen streiten muß;-))).Der “Lochmühler Himmelsfrieden” aber war nie in Gefahr!;-)))Also Leute,immer schön locker bleiben.

  5. …und noch 1 Versuch der ” Wiedergutmachung ” ;-))))
    Mit ” 20 ” ist die Wahrnehmung schon manchmal etwas seltsam. Hier kann der ” Unterzeichner höchstselbst ” ein Liedlein singen….Der Schwabe sagt mit ” 40 ” wird man ” gscheid “…und spätestens dann schätzt man etwas ruhigere Abläufe , nicht ständig wechselnde Nachbarn , die alten Barden am Stammtisch mit denen man trefflich über vergangenes quatschen kann uswusf.
    Will sagen es besteht noch Hoffnung das Fanny dereinst zur festen Oberlochmühler Größe am Stammtisch wird….;-)))

    LG in die Alte Heimat…..

  6. C. Duelli sagt:

    Hallo Ulf,
    …die Vogelmutter hatte keinen Einfluß auf die ersten (in diesem Falle: “journalistischen”) Flugversuche des Nestlings; die Großmutter noch weniger!!!

    Vielleicht(???) fühlt sich ein heranwachsendes Großstadtpflänzchen mitunter etwas deplatziert in der kleinen, beschaulichen Oberlochmühle.(?)…wie auch immer, man sollte den kleinen Fehltritten unserer Nestlinge nicht allzuviel Bedeutung zumessen. Rotkäppchen hat ja auch nicht auf die Mutter gehört, und trotzdem ist es gut gegangen.:~))), Sorry OLOMÜ, wir lieben Dich!

  7. Ulf Hofmann sagt:

    Die tägliche Jagd,nicht nur zum Lebensunterhalt sondern vor allem nach dem Yeti,das Sammeln von Beeren und Pilzen und Fische fangen mit der bloßen Hand hast Du vergessen zu erwähnen.Mit ein bißchen Glück trifft man hier auch das Rotkäppchen, dieses Luder…..
    Liebe Grüsse an deine Mutter.

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