Amsterdam im Hochsommer ist wie Disneyland für Erwachsene, findet Laurence Thio. Seit über 20 Jahren sucht er die Stadt immer wieder auf und lebt in ihr. Grund genug einmal über den Massentourismus an den Grachten zu schimpfen.
Von Laurence Thio
Drei schwarze Kreuze prangen vertikal auf der Amsterdamer Stadtflagge. Es gibt unterschiedliche Auslegungen, was sie zu bedeuten haben. Eine Version geht folgendermaßen: Sie symbolisieren die drei Plagen Amsterdams: Flut, Feuer und Pest.
Die Stadt der Plagen
Klassiker des Katastrophengeschäfts und natürlich hochaktuell: Das Amsterdam, mit den restlichen Niederlanden, im Zuge des Klimawandels im Meer untergehen wird, gilt als wahrscheinlich. Feuer wird allgemein unterschätzt. Es erlebte während meines Aufenthalts aber ein Comeback und brannte “Prins Willem” ab, ein orginalgetreu nachgebautes Flaggschiff der Niederlande. Benannt war das Schiff nach dem Vater des Landes Prinz Wilhelm von Oranien. Ob die Schweinegrippe, die in den Niederlanden übrigens eher den Mexikanern (“Mexicaanse griep”) zugeschrieben wird, die Pest als Plage ablösen kann, muss sich erst noch zeigen.
Spanner-Touristen in den Grachten
So ernst diese Plagen auch sein mögen, es gibt gute Gründe, weshalb die Stadt über ein viertes Kreuz in ihrem Stadtwappen nachdenken sollte. Die hausgemachte Überplage: Massentourismus.
Im wesentlichen zieht Amsterdam drei Übel an: Tages-, Drogen-, und Sextouristen. Die Tagestouristen verstopfen die schmalen Grachten, posieren auf jeder Brücke und häufig fotografieren sie auch einfach in Wohnungen hinein. So geschehen bei meiner Tante. Einmal schickte ein Tourist sogar die aufgenommenen Fotos im Briefumschlag an sie, offenbar hatte er die Adresse notiert. Daraufhin kaufte meine Tante Jalousien.
Ab und zu überfährt man Drogentouristen
Über die zahlreichen Drogentouristen braucht man nicht viel Worte zu verlieren. Sie sind berauscht, stolpern auf der Straße, ab und zu fährt man in sie rein. Schlimmer ist jedoch die Vielzahl an geschmacklos eingerichteten Coffeeshops: Jamaika-Flagge, Bob-Marley-Poster, kiffende Aliens – machen wir uns nichts vor: Das ist verstaubte Kifferideologie. Das Amsterdamer Drogengeschäft braucht dringend eine Qualitätsoffensive.
An den Hurenfenstern vorbei
Interessant wird es in den Abendstunden im Amsterdamer Rotlicht-Viertel. Die gesamte Gracht ist in das rote Licht der Leuchtreklame getaucht. Männermassen schieben sich an den Hurenfenstern vorbei. Die Männer tragen borstige Kurzhaarschnitte, kurze Hosen und erstaunlich oft Fußballtrikots. Sie lachen, manchmal zeigen sie auf gelangweilte Huren. Ich nehme an, diese Männer sind es auch, die Postkarten verschicken auf denen Genitalien beiderlei Geschlechts abgebildet sind, die auf bizarre Weise zu Tieren oder Gesichtern umgeschminkt wurden: “Greetings from Amsterdam”. Es ist diese Art von Erotik, die an so einem Abend in der Luft liegt.
Tourismus mit Tourismus bekämpfen?
Den Amsterdamern bleiben nicht viele Möglichkeiten: Die einen meiden die touristischen Viertel, die anderen schlagen Kapital daraus oder versuchen die Gegend durch Galerien und Kunst aufzuwerten. Viele verlassen über den Sommer auch einfach die Stadt und werden ihrerseits zu Touristen. Im Reiseteil der niederländischen Zeitungen gibt es gerade einen Ort, der immer wieder als das perfekte Reiseziel beworben wird: “Berlijn”.
Och schön, der kleine Reisebericht. Amsterdam war in den 70ern nicht anders. Ich fand die Stadt zum einen recht interessant und voller Leben, das es in dem früheren, mit der Mauer umschlossenen Berlin, nicht gab. Aber Amsterdam war auch ein Moloch, und nachdem ich 1976 durch alle westlichen Hauptstädte Europas wieder zu hause war, war Amsterdam die schrecklichste Stadt, gefolgt von London.
Und das skurrilste von all den Städten war das Rotlichtviertel in Amsterdam. Ein Israeli aus dem Youth Hotel schleppte mich dorthin, ich hatte nicht geringste Ahnung von Amsterdam und lies mich treiben.
Ich bewundere dich, dass Du Amsterdam so magst. Aber man braucht wohl mehr Zeit, um dieser Stadt auch die zauberhaften Seiten abzugewinnen.