Eine Stadt wie ein Museum

Mit Stephansdom, Sachertorte und Schnitzel zieht Wien jedes Jahr 4,5 Millionen Touristen an. Auch Björn Stephan hat das Essen dort geschmeckt. Zumindest besser als die aufgesetzte Höflichkeit und der abgeschmackte Historienkult.

Geschichte für Touristen: Fiaker vor der Albertina, einem Kunstmuseum. Nur wo ist der kostümierte Kutscher?Mit dem Fiaker durch die Stadt wie anno dazumal. Nur wo ist der kostümierte Kutscher?

Von Björn Stephan.

Das „Frauenhuber“ ist das älteste Kaffehaus Wiens, wenigstens behauptet das Familie Binder – sie ist der Inhaber. Etwas verborgen liegt es unweit des Stephansdoms in der Himmelpfortgasse 6: Kronleuchter, weißes Deckengewölbe und rote Samtbezüge. „Bei uns werden Sie vom Ober noch immer mit „gnädige Frau“ und „gnädiger Herr“ angesprochen“, heißt es im Prospekt. Zweifelsohne hier wird noch Wert auf Tradition gelegt. Und in der Tat wird man vom Ober, einem älteren, soignierten Herren mit graumeliertem Haar, weißem Hemd, schwarzer Weste und schwarzer Fliege, freundlich empfangen: Haben’s scho’ ein Wunsch, werte Herrschaften?“

So weit, so nett. Oder etwa doch nicht? Nach einiger Zeit wirkt der Kellner allzu unterwürfig, irgendwie gekünstelt. Grotesk wird es spätestens dann, als er die Tasse Melange unterwürfig abräumt, und sich mehrere Bücklinge machend vom Tisch wegdienert: „Bitt’ schön, sehr gern, bitt’ schön.“

So wie das „Frauenhuber“ ist die ganze Stadt: aufgesetzt höflich, ein wenig altbacken und angestaubt wie kitschiger Nippes in der Schrankwand. Wien scheint in der Vergangenheit zu verharren; stehengeblieben in der Erinnerung an die glorreichen Zeiten um 1900, als die Stadt die viertgrößte der Welt war – nach New York, London und Paris. Heute aber ist nicht mehr übrig als der Abglanz vergangener Tage: Etwa die Fiaker, die ständig durch die engen Gassen klappern. 40 Euro für 20 Minuten, auf dem Bock Kutscher in lächerlichen Kostümen. Oder Schönbrunn, das Rokoko-Schloss am Stadtrand, wo unablässig dem Sissi-Kult gehuldigt wird. Sogar zu ihrer Toilette werden die Touristengruppen geführt. Oder die Kaffehäuser: Zwar versprühen sie noch immer einen gewissen Charme. Die kulturelle Hochzeit der Wiener Moderne aber ist längst vorbei. Heute tummeln sich dort keineswegs mehr namhafte Schriftsteller, wie Franz Werfel oder Stefan Zweig es waren, sondern lediglich Postkarten kritzelnde Urlauber.

Aber irgendwo muss es doch noch mehr geben als die touristisch herausgeputzte Fassade? Wo ist das wahre Leben in Wien? Geht man abends aus, wird man nicht mehr zu sehen bekommen, als ein paar nette Bars. Ansonsten sind die Bordsteine hochgeklappt, die Straßen fast wie ausgestorben. Und selbst die wenigen Clubs, meistens in Tunneln unter der U-Bahn-Trasse, gleichen eher einer Dorfkirmes im brandenburgischen Hinterland: Bereits um 22:00 Uhr ist die große Masse betrunken. Kein Wunder, wenn die offizielle Sperrstunde bereits um 4:00 Uhr morgens schlägt. Obwohl eins macht Hoffnung: Eine Bürgerinitiative kämpft für die Ausweitung der Sperrstunde – immerhin bis 6.00 Uhr.

Zum Schluss zeigt sich vielleicht doch noch das wahre Gesicht der Wiener. Eine Dampferfahrt auf der Donau. Das Schiff vollbesetzt, mehr Gäste als Plätze: Deshalb flugs über die Ansperrung am Heck geklettert und auf dem Maschinenkasten gesonnt. Plötzlich aber stampft der Kapitän- schlecht sitzende Uniform, schmaler Oberlippenbart und Goldkettchen – heran und brüllt: „Ja, spinnt’s denn. Kommt’s sofort runter da! Aber zack zack! Was glaubt’s denn wo ihr hier seid! Wir sind hier in Österreich, da hat’s man sich zu benehmen!“ Na endlich. Warum denn nicht gleich so?


Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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