Pilze, Tee und Tatort – das erste Urlaubsglück zu dritt

Ein Kind soll Stress bedeuten? Kann Anna Klöpper nicht finden. Statt sich wie jedes Jahr quälender Reiseplanung hinzugeben, zog es sie, ihren Freund und das neue Baby ganz einfach zu den Großeltern aufs Land.

Gardinen auf! Da will jemand die Welt entdecken!

Gardinen auf! Da will jemand die Welt entdecken!

Text und Foto von Anna Klöpper

Die lästige Urlaubsfrage – was, wohin, mit wem, für wie lange – haben wir dieses Jahr ziemlich elegant gelöst, finden mein Freund und ich. Wir haben ein Kind bekommen. Danach stellt sich nicht mehr die Frage, ob lieber mit Freunden ans Meer, Städteurlaub in London, Rom, Paris, oder vielleicht doch lieber günstig und gesund mit Fahrrad und Zelt Richtung Ostsee gestrampelt. Nein, dieser Sommer war einfach. Dieser Sommer stellte uns lediglich vor die Wahl, den Kinderwagen drei Monate lang zwischen Humboldthain, Prenzlauer Berg und Wedding im Dreieck zu schieben, oder eine Zugfahrkarte in die ostwestfälische Provinz zu buchen und die lieben Großeltern zu besuchen.

Da beides auf Dauer ungefähr gleich anstrengend ist, schoben wir also die erste Hälfte des Sommers zunächst mal fleißig Kinderwagen durch Berlin. Unglaublich übrigens, was man auf diese Weise noch so alles entdecken kann im Kiez. Wir sind jetzt jedenfalls Kiezexperten für Prenzlauer Berg/Grenze Wedding, mein Freund und ich. Der übernächste Briefkasten, die DRK-Kleidertonne um die Ecke, die garantiert immer voll ist (und die Alternative von Humana zwei Querstraßen weiter), Bäcker, Zeitungskiosk, Bank, Post – und wie man das dann alles kräftesparend auf einer Ausfahrt zwischen zwei Baby-Mahlzeiten kombiniert. Wir helfen da bei Fragen gerne weiter.

Kein Selbstfindungstrip nach Indien…

Jedenfalls hatten wir dann aber Ende September genug vom Kinderwagengewusel in Prenzlauer Berg und schrägen Blicken im Wedding, wenn mein Freund sich das Baby, ganz der moderne Papa, im Tragetuch vor den Bauch geschnallt hatte und die Mama so ganz ohne Baby nebenher lief. Also Landurlaub. Mit Ponys streicheln und Kühe gucken, das volle Programm eben. Der Kleine fand den Ausflug allerdings erstmal nicht so lustig. Gar nicht so leicht heraufzubeschwören, die entspannte Urlaubsstimmung, wenn das Baby schon auf dem Weg zum Bahnhof im Kinderwagen kräht. Nicht besonders groß die Motivation, um 8.15 Uhr mit einem brüllenden Baby in den Intercity zu steigen. Vor allem dann nicht, wenn der Wagen mit Kleinkindabteil „aus technischen Gründen“ leider nicht mitfahren darf. Was vorher natürlich niemand weiß. Aber nach einem Sprint mit Kinderwagen und Gepäck den Bahnsteig entlang, immer Richtung Ersatz-Kinderabteil, ist man dann immerhin wach. Der Urlaub kann beginnen.

…dafür die Welt mit Kinderaugen sehen!

Aber dann – wann war Zugfahren schon mal schöner, als wenn ein Baby mit großen Kulleraugen aus dem Zugfenster staunt, bis es irgendwann zwischen Stendal und Wolfsburg auf Mamas Arm friedlich einschlummert? Die Eltern schlafen schnell eine Runde mit. Und was macht man dann so mit der angebrochenen Ferienwoche? Jedenfalls ist klar, was man nicht macht. Lange Ausschlafen, abends irgendwo hin und „was nettes machen“, zwischendurch noch ein bisschen Kultur mitnehmen – ist nicht mehr. Was geht sind lange Spaziergänge und die Stille genießen, die man, jedenfalls seit man mit Kinderwagen unterwegs ist, oft so vergeblich sucht in Berlin. Pilze suchen geht auch. Und Tatort angucken, mit einer Tasse Tee in der Hand. Schlimm langweilig? Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil – herrlich, wenn ein Urlaub nicht mehr ständig Spannung versprechen muss. Kein Erfolgsdruck mehr, auch keine Erwartungshaltungen, die erfüllt werden wollen. Wunderbar. Man entspannt sich. Und wer will schon in irgendeinem gammeligen Bed & Breakfast in London, Rom, Paris verschlafen, wie ein kleines Baby morgens beim Frühstück gut gelaunt glucksend einmal in die Runde strahlt und mit dem Fäustchen in die Butter haut?

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

1 Response

  1. Servus, Gut geschrieben. Ob Kinderwagen oder Buggy, bei jedem Kind musste es bei uns wieder ein neuer sein.

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