Bildungsstreik ist wie Karneval. Nur die Massen bleiben fern. Für bessere Studienbedingungen braucht es aber keine bunte Protestfolklore, sondern vor allem eines: Pragmatismus. Ein Kommentar von Hendrik Pauli.
Als den Bildungsprotesten an der FU am Mittwoch vergangener Woche neues Leben eingehaucht wurde, waren auf der anderen Seite der Republik die Tumulte schon in vollem Gange. Pünktlich um 11.11 Uhr war in vielen Städten entlang des Rheins der Frohsinn ausgebrochen. Närrisches Treiben und Bildungsstreik haben eines gemeinsam: Beides dient dazu den Zwang und die Enge des Alltags vergessen zu machen und mal gehörig Dampf aus dem Kessel lassen. Die Karnevalisten bringen die Rathäuser unter ihre Kontrolle; die Studenten besetzen die Hörsäle.
Gute Organisation, aber kaum einer streikt mit
Doch während man sich in Mainz, Köln und Düsseldorf darauf verständigt hat, sich die Sehnsucht nach anderen Verhältnissen hochprozentig aus dem Leib zu schunkeln, muss die Empörung über die miserablen Studienbedingungen schnell und vor allem nachhaltig in produktive Energie umgewandelt werden. Und genau dort liegt die Schwierigkeit. Zwar ist es beeindruckend, mit welch organisatorischem Geschick die Besetzer ihre Kampagne ins Rollen gebracht haben, inklusive Materialbeschaffung, Nutzung neuer Medien und internationaler Vernetzung. Doch die Teilnehmerzahlen bleiben bescheiden. Bestes Beispiel: die Demonstration zum bundesweiten Aktionstag am vergangenen Dienstag. Die Veranstalter sprachen von 15000 bis 25000 Demonstranten, realistischer sind aber die Angaben der Polizei, die von 6000 Teilnehmern ausgingen, darunter viele Schüler. Das sind deutlich weniger streikende Studenten als noch auf der großen Bildungsdemo im Sommer. Die Frage, die im Raum steht, lautet: Warum schlagen sich die überwältigenden Sympathiebekundungen und die positive Medienresonanz nicht auf die Truppenstärke der Aktivisten nieder?
Die Stärke der Linken – ihr größtes Problem
Der Bildungsstreik wird von vielen Studierenden noch immer als Veranstaltung ausschließlich linker Meinungsführer wahrgenommen. Auch wenn es innerhalb der Linken unterschiedliche Strömungen gibt, kann man doch zusammenfassend betrachtet sagen, dass sie an der FU traditionell sehr stark aufgestellt sind. Diese Stärke ist zugleich ihr größtes Problem. Ihre Positionen, ihre Lösungsvorschläge, zum Teil auch ihr Stil sind alles andere als mehrheitsfähig. So hat etwa der Antrag, Solidarität mit den Beschäftigten des Studentenwerks zu zeigen, die von prekären Arbeitsverhältnissen bedroht sind, beim Bildungsstreik durchaus seinen Platz. Aber hat den der Aufruf, Ackermann und Co am heutigen Freitag im Hotel Adlon einzukesseln ebenso? Dazu kommt die ermüdende Diskussionspraxis, nach dem Motto: Recht hat, wer länger wach bleibt. Und befremdlich war auch, warum die Antifa erneut medienwirksam an der Spitze einer Bildungs(!)demonstration mitmarschierte.
Revolution, Klassenkampf, soziale Unruhen – all das schwingt mehr oder weniger latent mit beim Bildungsstreik an der FU. Mit den knackigen revolutionären Parolen verhält es sich aber wie mit der Kamelle am Rosenmontag: Die meisten fliegen ins Leere. Die Systemfrage stellt für die allermeisten Studierenden nicht. Sie sehen das Ganze daher eher als rituelle Selbstvergewisserung einer reaktionären Linken, denn als Anstrengung für ein modernes Bildungssystem.
Pragmatische Köpfe für eine wirkliche Studentenbewegung
Die Proteste sind dennoch richtig. Nur um ihren Inhalt und ihre Form muss gerungen werden. Ideologische Abrüstung, weniger Einpeitscher, dafür pragmatische Köpfe, die integrieren können und wollen, das täte der Sache gut. Erste Anzeichen dazu sind zu erkennen. Außerdem: Wer als politische Kraft wachsen und ernst genommen werden will, der kann sich nicht allein auf Mitmach-Appelle und bunte Protestfolklore verlassen, der sollte sich einer grundlegenden politischen Praxis besinnen: Koalitionen schmieden, und sei es nur auf Zeit. Nur wenn das gelingt, werden an der FU aus den paar Dutzend Unentwegten Hunderte und Tausende. Nur dann kann daraus eine Studentenbewegung entstehen, die diese Bezeichnung verdient. Und nur dann werden sich Politiker und die sogenannten Wissenschaftsmanager spürbar bewegen. Wenn dies nicht gelingt, blüht den Aktivisten das gleiche Schicksal wie den Narren: Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Spätestens.