Die empörte Studentin

Wegschauen, vorbeischauen, runterschauen: Warum kriegen Studierende kein »Hallo« raus?! Ein aufrüttelnder Brief von Laurenzia Thio.

Michi Schneider hat die Empörte in Öl verewigt.

Liebe Nicht-Grüßer!

Ich weiß nicht, ob es an eurer Erziehung liegt oder ein seltsames Überlegenheitsritual älterer Semester ist: Aber warum in Gottes Namen sagt ihr nie »Hallo«?

Es ist ja nicht so, als würden wir uns nicht kennen. Wir sind zwar keine Freunde, aber wir studieren am gleichen Institut, wir gehen in dieselben Vorlesungen, wir spionieren uns gegenseitig in Online-Netzwerken aus, manchmal halten wir sogar gemeinsam Referate und reden miteinander. Und danach: wieder kein Hallo!

Die ersten ein bis zwei Male denkt man, es handele sich um ein Versehen (Grußphase 1). Vielleicht hat das Gegenüber nicht schnell genug reagiert. Spätestens beim dritten unbeantworteten Gruß, der bis dahin häufig zu einem Nicken degeneriert ist (Grußphase 2), geht man selbst zum Ignorieren über. Was dann über die nächsten sechs Semester folgt, ist eine Aneinanderreihung von Vermeidungsstrategien (Grußphase 3): wegschauen, vorbeischauen, runterschauen, Handy beschauen. Ich schildere hier nicht nur meinen persönlichen Fall, die Allgemeingültigkeit des Umstands wird tagtäglich demonstriert. Keiner scheint keinen zu kennen, aber eigentlich kennt jeder jeden! Wir befinden uns auf dem FU-Campus mittlerweile in einer permanenten Fahrstuhlsituation. Ich studiere nicht Psychologie, weiß aber: Das ist bedenklich.

Eigentlich sind von allen Gesellschaften, gleich ob archaisch, vormodern oder modern, Begrüßungsrituale übermittelt. Unter Freunden funktionieren diese Rituale auch auf dem Campus nach wie vor. Doch geht es um das Netzwerk »Kommilitonen«, setzt diese universalistische Natur der Begrüßung bei einigen Zeitgenossen aus oder wird sogar bewusst unterdrückt! Schauen wir doch zurück: Früher waren Stirn-, Hand-, in einigen Kreisen auch Fußküsse Teil der Begrüßung. Die Herren hoben später den Hut, die Damen knicksten. Heute kriegen Studenten kein verhuschtes »Hi« mehr hin. Das ist gefährlich, finde ich.

Um eins klar zu machen: Die Verweigerung des Begrüßungsaktes beziehungsweise das beständige Ignorieren ist eine Normverletzung. Man kränkt das Recht des anderen auf Anerkennung! Im Mittelalter Anlass Fehden zu beginnen, Rache zu vollziehen und sich gegenseitig die Zunge aus dem Mund zu schneiden. Nur mal so zur Info!

Meine Vermutung: Es geht um Macht oder Erhalt des Status Quo. Begrüßungsrituale sind nichts anderes als kommunikative Handlungen und die sind natürlich geprägt von Machtverhältnissen! Wer es nicht nötig hat, zu grüßen, ist mächtig, hat wohl viele Freunde, braucht niemanden, kann alle ignorieren. Das ist die Attitüde, die ihr Nicht-Grüßer hier an den Tag legt. Wahrscheinlich kommt noch ein Schuss Neuberliner Arroganz dazu! Mir reicht’s ehrlich gesagt!

Es geht auch anders: Ein Freund von mir kam von einer kleinen, beschaulichen Universität an die FU Berlin. Er grüßte zunächst auch noch. Schnell wurde ihm aber klar, dass er so nicht weiter kommt. Eine Zeit lang brüllte er jedem Nicht-Grüßer nach seinem »Hallo« ein trotziges »Ich kenn Dich auch nicht!« hinterher. Durch diese Sanktion ist er zu einem der meistgegrüßten Studenten aufgestiegen, die mir je in Dahlem untergekommen sind.

Also, das nächste Mal, sagt ihr »Hallo« oder ich mach es!

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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