10 Jahre Bologna! Marlene Göring fragte die wichtigsten Uni-Reformer des Landes nach ihrer Bilanz. Und bekam lauter gutgelaunte Antworten. Aus der Feierstimmung hat sie eine große Beamtenparty gemacht. Eine Satire mit echten Zitaten.
Es gibt eine allgemeine Erkenntnis«, so Birger Hendriks, »die grundlegende Bereitschaft zur qualitativen Verbesserung der Umsetzung des Bologna-Prozesses.« Mit wohlwollendem Nicken folgen die Gäste den Worten des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe »Fortführung des Bologna-Prozesses«. Hendriks hält an diesem Abend die Erföffungsrede im »Dahlem Cube«, dem Science and Conference Center an der FU. Seine Zuhörer haben sich vor der Rednerbühne um geschmackvolle Tischgruppen drapiert. Moderne Kronleuchter verbreiten Zahnarztpraxenflair. Der illuminierte Glasbau fasst 1000 Menschen – nicht annähernd genug Platz für alle, die als Beauftragte, Ausschussteilnehmer, in Arbeitsgruppen oder als Bologna-Reformer an ihrem Fachbereich tätig sind. FU-Präsident Lenzen hat deshalb nur die wichtigsten Lenker zur »Festaktveranstaltung anlässlich der Fortführung des Bologna-Prozesses im Jubiläumsjahr« geladen. Gemeinsam feiern sie ihren Erfolg: Das Ziel, Deutschland bis 2010 komplett auf Bachelor und Master umzustellen, wurde »zu drei Vierteln« erreicht.
Für Politiker sind offizielle Ansprachen ein notwendiges Übel. Doch Hendriks’ Vortrag verbreitet wohlige Stimmung. Mit halb geschlossenen Lidern lauschen die Partygäste. »Der Zweck unserer Arbeitsgruppe ist der, die Kommunikation über den Bologna-Prozess zu verbessern, also besser zu transportieren«. Das hieße »einerseits das, was im Bologna-Prozess stattfindet, an die weiterzugeben, die man international ›Stakeholder‹ nennt, also die Beteiligten«. Nach drei weiteren Schachtelsätzen macht Hendriks eine rhetorische Pause. Wer folgen konnte, blickt anerkennend. Schöner ließe es sich selbst nicht auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nachlesen. Hendriks lächelt in die Runde und lobt die Begegnung der Bologna-Beteiligten »auf Augenhöhe«. Als er die Bühne verlässt, stehen die Kultusminister zum Händeschütteln bereit. Hendriks verschwindet in ihrer Mitte. In Bildungsfragen haben die Kultusminister die größten Kompetenzen. Anders als die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) kann die Kultusministerkonferenz (KMK) nicht nur Empfehlungen geben, sondern auch politische Entscheidungen treffen.
Aber irgendeine Landtagswahl steht immer an. Und das Thema Bildung kann auf Länderebene schonmal zum politischen Beinbruch führen, weshalb Beschlüsse lieber vermieden werden. Der Party-Smalltalk geht den Kultusministern gut von der Hand, niemand hat dem anderen etwas vorzuwerfen. Einträchtig versammeln sie sich ums Buffet. Aber wie sollen die Leckerbissen aufgeteilt werden? Nach gründlicher Debatte ist der Minimalkonsens gefunden: Jeder bekommt drei Stücke vom Tablett direkt vor sich. Ähnlich lief auch das KMK-Treffen im Oktober ab. Dort wurden drei Kritikpunkte des Bildungsstreiks zum Bologna-Prozess als sinnvoll bestimmt. Nicht sinnvoll schien es der KMK allerdings, verbindliche Vorgaben festzulegen. Entsprechend frei wird auch der Minimalkonsens auf der Party gehandhabt: Die Kaviarhäppchen sind vor der Zeit aus.
Entschiedene Worte findet nur KMK-Präsident Henry Tesch: »Der Bologna-Prozess darf nicht dazu führen, dass einfach nur alter Wein in neue Schläuche gegossen wird!« Von den Hochschulrektoren am Tresen erntet er dafür Stirnrunzeln. Sie blicken sich hilfesuchend um, der Seitenhieb ging in ihre Richtung. Die Kritik droht die Partystimmung zu drücken. Da fängt ein Gast mit senfgelber Fliege und roter Nase an, zu kichern. »Lasst uns Tanzen! Statt Polonaise machen wir heute«, er schaut erwartungsvoll in die Runde, dann prustet er: »eine ›BOLOGNESE‹!« Die Hochschulrektoren lachen auf. Sie trinken ihr Glas aus, legen sich die Hände auf die Schultern und tanzen im Kreis.
Dieter Lenzen nutzt den ausgelassenen Moment, um Tesch zu kontern. Immerhin hat er als einer der ersten die »Reform der Reform« gefordert und die »Prüfungen auf den Prüfstand« gesetzt. Gebannt folgen die umstehenden Gäste seinen tautologischen Formeln. Die Trennlinien sind klar. Entweder die Politik ist Schuld, oder die Hochschulen sind es. Lenzen weiß die Antwort: »Es ist allerdings darauf zu bestehen«, sagt der FU-Präsident und schaut nachdenklich auf sein Glas Weißweinschorle, »dass die tatsächlichen Verursacher von verbesserungswürdigen Bedingungen keineswegs in der Freien Universität Berlin gesucht werden dürfen.« Die finanziellen und gesetzlichen Bedingungen würden durch das Land Berlin fixiert, die Europäisierung der Studiengänge erfolge allein aus den Beschlüssen der KMK und auf EU-Ebene. Sein Blick sucht Margret Wintermantel, die Präsidentin der HRK. Sie setzt die Diskussion fort.
»Wir sind darum bemüht, die Reform, die von der Politik in internationalen Verträgen verabredet wurde, so gut wie möglich umzusetzen.« Wintermantel appelliert an das Mitgefühl der Umstehenden: »Es ist sehr schwierig für die Hochschulen, die ohne einen zusätzlichen Euro eine vollkommen neue Studienarchitektur entwickeln mussten.« Lenzen und Wintermantel prosten sich zu. Auch bei der studentischen Beteiligung am Bologna-Prozess sind sie sich einig. Natürlich sei es wichtig, Studenten mit einzubinden. Während Lenzen vor allem davon spricht, dass er lieber mit der »Basis« als mit »Funktionären« redet, kann Wintermantel mit persönlicher Erfahrung punkten: »Ich spreche mit vielen Studierenden, die begeistert von ihrem Studium sind. Vor kurzem zum Beispiel mit einem Philosophie-Studenten aus Konstanz.« Die adrette Professorin sieht Hochschüler als ihre Partner an. »Natürlich haben die Studierenden in einem Fachbereich die Möglichkeit, ihre Wünsche zu formulieren«, sagt sie, »Das muss ja nicht formalisiert werden über eine bestimmte Wahl.« Wintermantel setzt auf Selbstregulierung. Schon fast anarchische Tendenzen machen sich da bemerkbar. Für die Zuhörer ist klar: So nah dran am Studenten ist sonst keiner hier.
Könnten sie aber sein. Unbemerkt und etwas distanziert sind auch Studenten anwesend. Zwei sind es, die übliche Anzahl der Sitze, die Studierende in den Bologna-Organisationen inne haben. Wenn sie überhaupt vertreten sind. Anja Gadow und Florian Kaiser sitzen im Vorstand des Freien Zusammenschlusses der StudentInnenschaften (FZS). Sie arbeiten mit Studenten genauso wie mit ambitionierten Karrieristen und alten Hasen, die Politik vor allem mit viel Sitzfleisch betreiben. »Damit kriegen sie die Debatte tot«, beschwert sich Gadow. »Sie gehen auf die Studiproteste ein und sorgen für gute Presse.« So würde den Studenten aber bloß der Wind aus den Segeln genommen. Kaiser pflichtet ihr bei: »Dann heißt es: Warum demonstriert ihr denn schon wieder«, sagt der 25-Jährige, »sie kümmern sich ja darum, das muss sich erstmal niederschlagen.«
Wirklich passieren würde aber nichts. Auch heute gehen sie auf die Gäste zu und sprechen verschiedene Punkte an. Aber Minister und Co. wenden sich meistens schnell anderen Plauderrunden zu. Das Manko der Studierendenvertreter ist ihre Halbwertszeit. »Bis man anfängt mit Hochschulpolitik, ist man im Zeichen von Bachelor schon fast wieder raus aus dem System.« Netzwerke müssen aber langfristig aufgebaut werden. Gadow, die schon länger im FZS aktiv ist, hat an einem Stehtisch Bekannte gesichtet. Gemeinsam mit Kaiser geht sie auf sie zu. Der Psychologie-Student setzt heute auf Konfrontation. »Wieso wird die Forderung nach Vergleichbarkeit der Unis im Sinne des Wettbewerbgedankens interpretiert?«, fragt er die graumelierten Herren. »Das steht so nirgends bei Bolog…« – Da gehen die Lichter aus und Kaisers Stimme im Raunen unter.
Nur noch ein Spotlight beschreibt einen Kreis in der Mitte des Festsaals. Hinein tritt Lenzen. Hinter sich her zieht er einen kleinen Handwagen. Darauf liegen seltene FU-Merchandiseartikel, zum Teil aus seiner Privatsammlung. Die braucht er selbst nicht mehr, weil er Berlin schon bald in Richtung Uni Hamburg verlassen wird. Als er die handsignierten T-Shirts, Federhalter und Fähnchen unter seinen Freunden verteilt hat, leuchtet ein zweiter Spot auf. Unbemerkt hat Lenzens persönlicher Pressesprecher Goran Krstin einen Flügel in den Saal gerollt. Schon spielt er die ersten Akkorde. Sanft beginnt Lenzen zu singen: »And now, the end is near«. Die Partygäste haken sich ein und wiegen im Takt. Nicht wenige Augen werden feucht, als Lenzen in den vollsten Tönen den Refrain erreicht: »I did it … my way!«.