Kühler rechnen

Sind Naturwissenschaftler weniger protestfreudig? Nur rationaler, meint Chemiestudent Devid MrusekFreitagskommentar

Die Bologna-Reform-Reform-Debatte geht in die nächste Runde. Der vom Akademischen Senat eingerichtete Runde Tisch ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Proteste der Studentenschaft in ein konstruktives Miteinander gemündet sind. Für Zulauf an Diskutierwilligen werben nun Aufrufe zur Mitarbeit auf Leintüchern und per Email. Auch der dicht plakatierte Kern der Silberlaube konnte nach Streikbeginn den Eindruck erwecken, dass händeringend nach sich solidarisierenden Studenten gesucht wurde. Bei den Naturwissenschaften wurden diese Aufrufe aber kaum erhört. Wieso?

Durchhalten und weiterarbeiten

Gestöhne ob Bologna klingt auch aus den naturwissenschaftlichen Instituten, grundsätzlich sind deren Studierende aber gut weggekommen: Das Institut für Chemie und Biochemie beispielsweise setzte nach eigenem Gutdünken einige „überbürokratisierte Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Studiengänge“ nicht um. Die naturwissenschaftlichen Fächer sind außerdem seit je verschult, viele Studierende überaus leistungswillig. Plancks Devise von 1918, „Durchhalten und weiterarbeiten“, hat für die meisten bis heute nichts von ihrer Programmatik eingebüßt. Ohne Doktortitel gibt es keinen Job in der Branche. Das Versprechen, dass der Bachelor ein berufsbefähigender Abschluss sei, wurde daher in unseren Instituten stets als das aufgenommen, was es war: Augenwischerei.

Auch die Form des Protests ist zu konventionell für Augen, die nach Innovation und fester Datengrundlage suchen. Den platten Slogans rund um den Hörsaal 1A fühlt man sich nur schwerlich verbunden, sie spiegeln in keinster Weise die Bedeutung dieser Strukturdebatte wider. Dabei ist eine intellektuelle Herangehensweise schon des Publikums wegen nötig. Gerade dessen Zusammensetzung macht aber stutzig: Viele Erst- und Zweitsemester tragen den Streik mit. Wie können sie etwas sabotieren, das sie kaum kennen gelernt haben? Wurden die Studierenden in den heutigen Gymnasien womöglich nicht darauf vorbereitet, dass ein Studium gute Organisation und viel Bereitschaft erfordert? Daraus ergibt sich nun eine falsche Anspruchshaltung. Die Jusos liegen richtig, wenn sie das Recht auf Bildung in den Menschenrechten verorten. Eine Erfolgsgarantie ist dort aber nicht verankert.

Kurzsichtige Gemütlichkeit?

Die Berechtigung des Protests offenbart sich tragischerweise gerade in seiner mangelnden Methodik. Sie ist Zeugnis einer Bildung, die sich darin genügt, ihre Absolventen zu Nachplapperern zu erziehen. Deduktiv ist die Vorgehensweise jedenfalls nicht und für unsereins leicht unter unreflektiertem Nörgeln zu verbuchen. Denn die Streikenden leiden anscheinend kollektiv unter ebenjener Kurzsichtigkeit, die sie Bologna attestieren. Wer sich schlicht das Studium gemütlicher einrichten will, blendet offensichtlich aus, dass auch der Arbeitsmarkt harsche Bedingungen aufweist. Ein Naturwissenschaftler würde hingegen kühl nachrechnen und zu dem Schluss kommen, dass es weniger kostet, jetzt einmal die Zähne zusammenzubeißen, als sich später ohne angemessene Beschäftigung durchzukämpfen. Die naturwissenschaftliche Prägung macht uns nicht mundfaul, sondern zukunftsfähig.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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3 Responses

  1. devid sagt:

    Ich möchte mal kurz auf die “unmöglichen Bedingungen” eingehen, die ja dem Anschein nach im Arbeitsmarkt herrschen und die ich, laut M., auch in der Uni einführen möchte:
    a) “unmöglich” ist eine Einschätzung, die von der eigenen Sichtweise abhängt. Wenn die eigene Einschätzung (die ja durch die Ausbildung geprägt ist) darauf beruht, dass das Harsche eine Kapitulation erfordert (nichts anderes ist die Forderung nach einer ruhigen, “besseren” Ausbildung), dann liegt meines Erachtens nach der Fehler nicht beim unmöglichen der Arbeitswelt, sondern bei der Unmotiviertheit des Betrachters.
    b) Die harschen Bedingungen an der Universität fordere ich nicht, sie sind schliesslich schon da. Ich fordere, dass kühler gerechnet wird.
    c) “Um in der späteren Arbeitswelt etwas verändern zu können, muss man erstmal zeigen, dass man in der Lage ist, etwas an der Universität zu verändern”. Das ist ein Trugschluss.

  2. Meike K. sagt:

    Ich muss meinem Vorredner vehement widersprechen. Oder seine Kritik ebenso auf mich beziehen, jenachdem.

    Den Artikel finde ich wunderbar. Endlich stellt mal jemand die Naturwissenschaftler nicht als die bebrillten, apolitischen Nixchecker hin, die zufrieden sind solange man ihnen ihr Labor lässt, sondern sagt wie es, meiner Meinung nach auch, ist.
    Ein bildungspolitischer Diskurs ist nicht per se schlecht, und wenn es was zu ändern gilt, dann ist auch Engagement nicht schlecht.
    Diskutieren um des Diskutierens Willen (“Lasst uns doch erstmal abstimmen, ob wir darüber abstimmen.”), wie es aus meiner Sicht in den Laberfächern des Öfteren mal vorkommen, findet sich bei den Naturwissenschaftlern selten. Eine intellektuelle Herangehensweise bei der Suche nach Innovation und fester Datengrundlage, damit kann ich mich identifizieren. Aber die Innovation steht nicht auf einmal hinter einem und ergibt sich, nur weil man wochenlang Cornflakes essend und Gitarre spielend auf Sofas zwischen den Stundenten und der Mensa sitzt und Rebell spielt.

  3. …M… sagt:

    Auch ein Kommentar sollte als Grundlage gut recherchiert sein.
    So ist es nur eine plakative Schönschreiberei geworden!

    Es stimmt zum Beispiel überhaupt nicht, dass alle Naturwissenschaften “seit je verschult” verschult seien.

    Was macht der Autor auch die Studierenden so schlecht: “viele Studierende überaus leistungswillig”? “Viele”bitte? Doch wohl die Meisten!

    Was versteht der Autor überhaupt unter “leitungswillig”?
    Mir scheint nicht dasselbe wie ich. Ich verstehe darunter, dass die Studierenden ihr Studium auch abschließen wollen und sie das Gefühl haben möchten auch gut auf ihre Aufgaben mit ihren Ansprüchen vorbereitet zu sein.

    Am meisten stört mich an dem Autor, dass er so gar nichts kapiert hat: “Wer sich schlicht das Studium gemütlicher einrichten will, blendet offensichtlich aus, dass auch der Arbeitsmarkt harsche Bedingungen aufweist.”
    So sanktioniert der Autor nicht die nicht etwas “Harschen” sondern die zum Teil unmöglichen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, sondern fordert damit auch noch, dass die Bedingungen an den deutschen Universitäten genauso sein sollen. Muss sich denn immer alles am Schlechten anpassen? Was ist das für eine erschreckendende Haltung?

    Bevor man irgendwelche Leistungen auf dem Arbeitsmarkt erbringen kann, muss es dazu zu erst eine gute Ausbildung geben. Im Stress des Arbeitsalltages, wird man dazu keine Gelegenheit mehr haben.

    Gutes und fundiertes Wissen braucht aber auch Zeit und auch eine vernünftige Lernumgebung. Hast und überzogener Stress, wie in dem B/M Studiengang zur Zeit realisiert, zähle ich nicht zu einer derartigen Lernumgebung.

    Man sollte wirklich auch etwas von dem verstehen, von dem man schreibt oder es besser lassen als so elitär oberflächlich daher zu stolzieren!

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