Zwischen Revolte und Campingurlaub

Empörung, Demos und ein demoliertes Präsidium – der Bildungsstreik hat Spuren hinterlassen. Im Sommer 2010 startet der nächste Anlauf. Doch was ist bisher passiert? Max Krause und Tobias Heimbach ziehen eine vorläufige Bilanz.

Illustration: Christoph Witt

Die Geschichte vom Bildungsstreik ist die eines Eingeschlafenen. Wer an seiner Erweckungszeremonie teilnehmen wollte, musste an einem frühjährlichen Mittwochnachmittag in die Mehringhöfe nach Kreuzberg kommen: zur Strategiebesprechung der Organisatoren des Bildungsstreiks 2010.

Die Sorge um den chronisch Kranken tragen 20 Studenten in schwarzen Pullis mit der Aufschrift »Bildung für alle«. Beseelt von der Idee des Widerstands sitzen sie in bequemen Sesseln und rauchen. Sie sprechen mit großer Geste über all die Dinge, über die schon so viel gesprochen wurde und die jetzt doch noch anders werden sollen. Die Schlagworte: selbstbestimmtes Lernen und Demokratisierung. Dazu weniger Einfluss der Wirtschaft auf die Bildung. Es ist eine andächtige Szene. Das Grüppchen hat sich einiges vorgenommen in diesem Jahr. Bunter, größer und lebendiger soll der Streik werden, vor allem aber erfolgreicher als im letzten Jahr. Auf die Frage nach neuen Protestideen außer den üblichen Besetzungen und Demos folgt Ratlosigkeit. Es haben sich Zweifel eingenistet. Hat der bisherige Streik überhaupt etwas gebracht?

Da sind sich selbst die Protestler uneinig. »Ich weiß nicht, ob man wirklich sagen kann, wir hätten etwas erreicht«, sagt Tobias, ehemaliger Besetzer des Hörsaals 1a. »Der Bildungsstreik war ein Erfolg, wir haben viel erreicht«, meint wiederum Max, auch er ein Aktiver. »Tiefgreifende Reformen blieben aber aus«, relativiert er. Ins Feld gezogen war man mit viel Kritik und der Unterstützung von mehr als 270 hochschulpolitischen Gruppen. Auch die Studenten der FU versuchten damals mit zahlreichen Aktionen, wie der Besetzung des Otto-Suhr-Instituts und der Stürmung des Präsidiums, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Gestreichelt und Verstanden

An der Bildungsstreik-Großdemo am 17. Juni 2009 beteiligten sich in Berlin mehr als 10 000 Menschen, landesweit sogar über 200 000. Kreativster Protest: der symbolische Banküberfall auf die Hypo Real Estate. Die Öffentlichkeit und die Politik blieben davon nicht unberührt. Bildungsministerin Schavan etwa meinte, die Studenten bräuchten »klare Signale, dass es Korrekturen gibt«. Eine grundlegende Reform des Bildungswesens steht aber immer noch aus. Von überall wurde gestreichelt und verstanden, konkret wurde es nicht.

Als der Streik im Laufe des Sommers schon ergebnislos zu verebben drohte, rollte im Herbst die zweite Welle des Protestes an. Hörsaalbesetzer in Österreich inspirierten die deutschen Streiker zu ihrem sogenannten »heißen Herbst«. Bald schon befand sich auch der Hörsaal 1a der FU fest in Studentenhand. Zelte wurden aufgeschlagen und Diskussionsrunden ins Leben gerufen. Mitten in der Silberlaube feierte der Bildungsstreik ein Comeback, das ihm wohl die wenigsten zugetraut hätten: Mit Sofas, Tischkicker, Gitarren und VoKü. Der Streik war plötzlich im Herzen der FU angekommen. Auch wenn er manchmal ein wenig an einen Campingurlaub erinnerte.

Illustration: Christoph Witt

Der Streik findet sein Gremium

Als Reaktion auf die wiederbelebten Bildungsproteste rief der Akademische Senat bereits Ende November den Runden Tisch ins Leben. Dort sollten die Interessen aller vier Statusgruppen – Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter, sonstige Mitarbeiter und Studenten – von einer überschaubaren Anzahl an Vertretern zusammengeführt werden. Dagegen begehrten die Studenten auf, die Zugangs- und Rederecht für alle Interessierten forderten. Während den ersten Sitzungen bis zu hundert Studenten beiwohnten, schrumpfte diese Zahl zuletzt deutlich auf unter zehn.

Michael Bongardt, Theologieprofessor und als Professorenvertreter von Anfang an mit dabei, sieht die Offenheit positiv: »Dass es von Beginn an ein breites Spektrum von Meinungen und Lösungsvorschlägen gab, war ein echter Gewinn für unsere Arbeit.« Die Anwesenheitspflicht, Sinnbild für ein starres Fließbandstudium, wurde schon im Dezember gekippt. Ein Etappensieg von eher symbolischem Wert. »Die vielen Prüfungen in kurzen Abständen machen den Studierenden mehr zu schaffen«, relativiert Bongardt, »ebenso die beschränkte Modulauswahl.« Der wirklich große Erfolg des Runden Tisches sind Leitlinien zur Reform der Studien- und Prüfungsordnungen. Vom Runden Tisch ausgearbeitet wurden sie im Akademischen Senat beschlossen. Mittlerweile sind sie an die Fachbereiche weitergeleitet, die konkrete Umsetzungsvorschläge machen sollen. Zum Wintersemester sollen sie dann in Kraft treten.

Vielen ist das zu wenig. Die AG Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel beklagt, dass die Kernforderungen des Streiks kein Gehör gefunden hätten. Schon laufen die Vorbereitungen für eine neue Runde im Bildungsstreik. Die Studenten sind ungeduldig. Verständlich, denn sie wollen die Früchte ihres Engagements auch ernten. Prof. Bongardt warnt vor Aktionismus, Verständnis für die Ungeduld der Studenten habe er trotzdem. »Bologna war auch deswegen ein Problem, weil es mit heißer Nadel gestrickt worden ist.« Wieviel Zeit die Reform der Reform erfordere, müsse man immer wieder neu abwägen. »Wenn neue Proteste kommen, sollten sie klug und kreativ sein«, fordert Bongardt. Wirkungsvoll wären sie aber nur, wenn sie für eine möglichst große Gruppe sprechen und – mit Blick auf die letzte Hörsaalbesetzung – zu einem würdigen Ende kämen.

Blasse Resultate

Illustration: Christoph Witt

In der Tat sind die Änderungen am Bachelor-Master-System für die Verantwortlichen an der Universität und in der Politik weitgehend schmerzfrei: Sie kosten kein Geld. Die Studenten werden angesichts knapper Mittel auch weiter in überfüllten Seminaren sitzen. Mehr Einfluss wurde den Studenten ebenfalls nicht zugestanden, sodass größere studentische Mitbestimmung weiterhin ein Wunschtraum bleibt. Die bisherigen Beschlüsse wirken wie zähneknirschend abgerungene Kompromisse, mit denen die Universitätsleitung die Studenten beschwichtigen will. Wirkliche Reformbereitschaft lässt das nicht erkennen.

Jedoch darf man das Ausbleiben umfassender Reformen nicht nur den Entscheidungsträgern anlasten. Der Bildungsstreik schaffte nie den Sprung zur Massenbewegung und konnte zu keiner Zeit für sich reklamieren, für alle Studenten zu sprechen. Der harte Kern der Bewegung engagierte sich sehr, ihre Aktionen stießen dagegen oft auf Desinteresse. Zudem rief die scharfe Rhetorik der Protestierenden bei vielen Studenten Ablehnung hervor. Die gingen dann auf Distanz, ohne sich näher mit den Inhalten zu befassen.

Wie soll es also weitergehen? Für den Großteil der Studenten sind die bisherigen Veränderungen zweifellos ein Segen. Ein Fluch sind sie jedoch für die, die die Proteste fortsetzen wollen. Nach den Zugeständnissen, die die Bildungstreik-Aktivisten der Politik und der Hochschulleitung abgerungen haben, werden sie es mit weiteren Forderungen schwer haben. »Einen Streik halte ich in der jetzigen Phase für ein falsches Mittel«, meint auch FU-Präsident Peter-André Alt. Stattdessen hält er die Studenten dazu an, konstruktiv in den Gremien mitzuarbeiten.

Kleinere Brötchen

Ohnehin ist unklar, ob die Mehrzahl der Studenten überhaupt einen neuen Streik will. Zwar sind Protestaktionen und eine Großdemonstration am 9. Juni in Planung, doch die Organisation läuft schleppend. Vorbereitungstreffen wurden mehrfach wegen geringer Beteiligung verschoben. Dem Streik geht die Puste aus. Es gelingt kaum noch, Nachwuchs zu mobilisieren, eine Kundgebung im April besuchten gerade einmal fünfzig Personen.

Die Wahl des neuen Präsidenten zeigt jedoch, wie wenig die Studenten immer noch in die Gestaltung der Universität einbezogen werden. »Wir brauchen mehr Demokratie an der Uni, hier hat ein Umdenken noch nicht stattgefunden«, meint auch Max. Zudem räumt die Politik trotz beschwichtigender Worte der Bildung noch immer nicht den angemessenen Stellenwert ein.

Der Streik hat sein Haltbarkeitsdatum also noch nicht überschritten. Doch wer den Protest an den Erfolgen des letzten Semesters misst, wird eine Enttäuschung erleben. Jetzt, wo die Motivation der Studenten nachlässt, müssen wohl kleinere Brötchen gebacken werden. Das sehen auch manche von denen, die weiterhin aktiv sind: Ein Insider glaubt, der Bildungsstreik habe seinen Zenit überschritten, möchte sich mit dieser Meinung aber nicht zitieren lassen. Denn die offizielle Linie des Bildungsstreik-Bündnisses ist klar: Die Proteste müssen fortgesetzt werden. In den Mehringhöfen sieht man das genauso.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. 16. Juni 2010

    […] Politik Der Seiltänzer: Peter-André Alt Opposition im Stimmbruch Streikbilanz: Zwischen Revolte und Campingurlaub […]

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