Ob „Poetry“ oder „Science“ – das Wort „Slam“ ist zur etablierten Marke in Berlin geworden. Carolin Benack und Janna Rheinbay begaben sich in die Welt des verbalen Schlagabtauschs um Ehre, Ruhm und Wodka.
Foto von Julia Pauselius.
Aus der U-Bahn am Schlesischen Tor steigt ein Pärchen: sie im weiten Strickpulli, schwarzen Leggings und demonstrativ abgetragenen weißen Turnschuhen, er mit Zigarette im Mundwinkel und Club Mate in der Hand. Sie überqueren die Skalitzer Straße, laufen die Schlesische entlang und kommen am Ende einer Menschenschlange zum Stehen. Dort stehen noch mehr Mädchen in Leggings und Strickpullover. Nachsehen, wohin die Schlange führt, muss niemand von ihnen. Die meisten sind regelmäßige Besucher des Kreuzberg Slams im Lido.
Drinnen sind Frischluft und Plätze rar, die Bar schenkt Mate aus, als gäbe es morgen kein Koffein mehr. Moderator Kolja betritt die Bühne. „Hmm, wie bringe ich euch das jetzt am besten bei?“ Draußen herrsche noch so ein Andrang, ob nicht einige so freundlich wären, ihren Sitzplatz aufzugeben und sich stattdessen auf die Bühne zu setzen. Applaus für die Sitzplatzaufgeber, bitte. Das gehört offenbar schon zur Routine beim Kreuzberg Slam, den Videos im Internet nach zu urteilen, die Slammer umringt von andächtig Lauschenden zeigen.
„Das Label ‘Poetry Slam’ läuft im Moment einfach echt gut“, kommentiert Sebastian, Freund und ehemaliger Mitbewohner Koljas, den Andrang. Dass es der Wettbewerb ist, der so viele anzieht, glaubt er nicht. Vor ungefähr vier Jahren gründete der FU-Student gemeinsam mit seinen Kommilitonen Marc-Uwe, Maik und Kolja den Kreuzberg Slam. Weil es zwar den Bastard-Slam im Prenzlauer Berg gab, aber in Kreuzberg einer fehlte. Zwischen Oma-Sofas und -Tapeten einer angesagten Kiezkneipe versucht Sebastian beim Interview die passende Bezeichnung für die zu finden, die auf der Bühne ihre Texte vortragen. Manche sind sicher auch Schriftsteller. „Was wir machen ist aber schon größtenteils Unterhaltung.“ Bühnenliteratur, das treffe es wohl am besten.
Von Neukölln nach H-Town
Beim Saalslam im Heimathafen Neukölln lauscht ein reiferes und schickeres Publikum. Ungewöhnlich für einen Poetry Slam, aber angesichts des sonst kabarettlastigen Programms und der prachtvollen Einrichtung nicht überraschend. Hier drängelt man nicht auf der Bühne, sich fragend, wohin nun mit dem Bier. Stattdessen gibt es Weißweinschorle auf kleinen runden Tischen und Holzstühle mit roten Polstern für jeden Gast. Hier muss man auch nicht wie sonst seine Lieblingsslammer johlend ins Finale klatschen, zwei Poker Chips in die Box mit dem Namen des bevorzugten Dichters reichen.
Moderator ist an diesem Abend Kreuzberg Slam-Mitbegründer Maik. Passend zum Ambiente trägt er Anzug, die Krawatte hängt jedoch betont neben der Knopfleiste seines Hemdes. Unter den Konkurrenten erkennt man einige Prototypen der Berliner Slamszene wieder, zum Teil samt Text. Da gibt es den Sozialkritischen, der wortgewandt das Publikum wachrütteln will. Der Natur des Themas gemäß hat er zwar die volle Aufmerksamkeit, aber wenige Lacher auf seiner Seite. Modell „lustiger Vogel“ sticht vor allem wegen seines hohen Alters heraus und legt im Finale einen urkomischen zweiten Auftritt hin. Heute Abend gewinnt jedoch Daniel Hoth, mit einer in Ironie getränkten Hommage an seine Heimat Hohenschönhausen, Oase der Plattenbau-Ästhetik und Auffangbecken für vom System geschädigte Freigeister. Als Gewinner hat er die Wahl zwischen einem Buchgutschein und einer Flasche Wodka. Offenbar hat Daniel den Saalslam schon öfter für sich entschieden. Und wohl auch schon öfter den Wodka gewählt, wie der Leberschaden-Witz von Maik erahnen lässt.
„Humor ist ein guter Informationsträger.“
Nicht nur bei der aktuellen WM, auch bei verbalen Wettbewerben kochen die Emotionen schon mal hoch. Passend dazu haben die Veranstalter des Science Slams heute Fußball zu ihrem Thema gemacht. Mit Leinwand, Podium und Bierbänken ausgestattet, avanciert das SO36 zur Fanmeile. Fußball-Fanatiker in Trikots machen es sich auf den Bänken bequem, „Football’s comin’ home“ ertönt aus den Lautsprechern. Es ist nicht ganz so kuschelig wie beim Kreuzberg Slam, die Stimmung jedoch ist um einiges lauter und ausgelassener als beim Saalslam. Zwischen eingeschworenen Fans sitzen auch ein paar ältere Kiezbewohner, daneben ein junger Doktorand vor seinem Touchscreen Laptop – alle bereit, das omnipräsente Phänomen Fußball zu erforschen.
Denn der Science Slam will Wissen vermitteln. Böswillige könnten meinen, er wäre nur eine mondäne Form der Unterhaltung – speziell für Akademiker, die auch noch ihrem Abendprogramm einen wissenschaftlichen Touch verpassen wollen. „Ein Science Slam ist beides“, meint Veranstalter und FU-Student Gregor Büning. Mit seinen wuscheligen Haaren, der Akademikerbrille und ohne Deutschlandtrikot bedient er so gar nicht das Image des grölenden Fußballproleten. Dem Ballsport sei er allerdings auch verfallen, mit dem WM-Slam habe er sich einen Traum erfüllt.
Gehen Humor und Ironie des Science Slams nicht zwangsläufig auf Kosten der inhaltlichen Tiefe? Büning verneint. Natürlich kämen lustige Auftritte beim Publikum besser an. Schließlich wolle es unterhalten und nicht belehrt werden. Das Niveaus sinke deshalb aber nicht: „Humor ist ein guter Informationsträger.“ Da bei diesem Slam aber nicht die Lautstärke des Publikums, sondern die Meinung einer Jury aus Vertretern der Berliner Fußballszene zählt, gewinnt diesmal kein Spaßvogel: Pfarrer Jochen Wagner siegt mit seiner flammenden Predigt über Fußball als sinnliche Erfahrung der Transzendenz. Zitate von Adorno, Hobbes und Freud fließen ganz nebenbei mit ein und lassen einige Kiefer nach unten klappen. Kontrast zur klerikalen Leidenschaft bildet Wirtschaftswissenschaftler Mario Mechtel mit seiner eiskalten Berechnung des richtigen Zeitpunktes zum Foulen: „Vor der 70. Minute ‘Laufen lassen!’, nach der 70. Minute ‘Ruhig mal kräftig reintreten!’“
Satans Pommesgabel
Es könnte tatsächlich die Wettbewerbsfaszination sein, die so viele zu den Slams zieht. Bei Post Modern Talking, einer Veranstaltung ohne Sieger und Verlierer, sehen die Besucherzahlen anders aus: Ganze 18 Zuschauer kommen an diesem Abend in den King Kong Klub. Es ist erst die dritte Vorstellung, sicher auch ein Grund für die minimale Resonanz. Auf der kleinen Bühne stehen eine Couch und ein Sessel, auf dem Moderator Sebastian Platz genommen hat. Offenbar schmeißen er und seine drei Freunde so einiges in der Berliner Bühnenliteraturszene. Mit Post Modern Talking haben sie ein neues Genre der Unterhaltungskunst geschaffen: eine Mischung aus Poetry und Science Slam, Jam Session und Talk Show – ganz ohne Wettbewerbscharakter. „Die Idee stammt von meiner Freundin Annika“, erzählt Sebastian. „Wir wollten eine Veranstaltung machen, in der man sein Nerd-Wissen zu witzigen Themen loswerden kann.“
Die Gäste Jan Koch und Anselm Neft, beide einigermaßen bekannt in der Berliner Poetry Slam-Szene, beschäftigen sich an diesem Abend mit Heavy Metal. Ein Thema, zu dem sich keiner aus dem Publikum als Spezialist bekennen will. „Wer sich als Metaler bezeichnen würde, mache bitte einmal die Pommesgabel!“, ruft Sebastian ins Mikrophon. Nur der Techniker in der Ecke streckt Zeige- und kleinen Finger in die Höhe.
Es wird lehrreich für das unwissende Publikum. Anselm Neft liest neben fiktiven Texten, die durchsetzt sind von irgendwie komischen Todesszenarien, aus seiner Magisterarbeit über Satanismus im Heavy Metal. Dabei werden gängige Metaler-Klischees gerne bestätigt: „junger Mann, blass, Akne und kein Sex“. Jan Koch interpretiert Metallieder auf deutsch und begleitet sich selbst auf der Gitarre. Schauer laufen über Rücken, wenn er eindringlich singt: „Jeder tötet, was er liebt“. Zwischendurch werden Fragen aus dem Publikum beantwortet und man stellt fest, dass Alice Cooper ohne Ton sehr witzig ist. Ein rundum vergnüglicher Abend, man wünscht Post Modern Talking ein weitaus größeres Publikum. Doch das wird es so schnell nicht geben. „Wegen der WM“, erklärt Sebastian. Da könne es sogar sein, dass niemand mehr kommt.
eure artikel werden in letzter zeit immer besser.. weiter so!