Satiriker auf leisen Sohlen

Gemeinsam mit der Titanic-Rasselbande hielt F.W. Bernstein der jungen Bundesrepublik den Spiegel vor. Furios traf einen Pionier der deutschen Satire mit FU-Vergangenheit. Von Filip Tuma.

Foto: Kassian Mayr

„Sie erkennen mich an der rotgrünen Schirmmütze.“ Eine Woge Studenten schwappt über den U-Bahnsteig in Dahlem. Zurück bleibt eine hohe Erscheinung im schwarzen Mantel, die Schultern leicht gebeugt: Fritz Weigle, besser bekannt als F. W. Bernstein, Urgestein der deutschen Satire und Professor für Karikatur a.D. Seine hellen Augen über dem wirren Schnurrbart blicken neugierig umher, während der Satiriker mit bedächtigen Schritten vom Thielplatz zum Campus der FU läuft. Es war einmal seine eigene Uni, doch eine Weile ist das schon her. „Was hat ein alter Mann wie ich den jungen Leuten noch zu sagen?“ fragt Bernstein. Er setzt lieber zu tief an, als zu hoch. Gemeinsam mit seinen Gefährten von der Neuen Frankfurter Schule besetzte er die klaffende Lücke im Niemandsland der deutschen Satire. Die Titanic-Gründer rund um Gernhardt, Waechter, Poth und Bernstein warfen einen scharfen Blick auf die hiesige Artenvielfalt. Bernsteins Kommentar: “Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.”

Statt Wild gibt es heute Fisch. Den Seehecht mit Sahnesoße balanciert Bernstein zielsicher durch das Gedränge in der Mensa. Obwohl sein Germanistikstudium bald 50 Jahre her ist, fragt die nette Dame an der Kasse nicht nach seinem Studentenausweis. „Fünfzig Jahre. Noch einmal so weit zurück, da ist man schon in der Kaiserzeit,“ amüsiert er sich. Der Seehecht scheint ihm zu schmecken.

Bernsteins FU war eine andere. Es geisterten noch keine Massen durch das Labyrinth der Silberlaube, die Germanisten residierten in einer gediegenen Villa. Für ein “Schmalspurstudium” war er eingeschrieben, erinnert er sich. „Ein Nachhilfekurs in Literatur, um Goethe richtig verstehen zu lernen.“ Das professorale Wort galt als Gesetz. Bei diesem Gedanken kommt der junge Student mit dem verschmitzten Lächeln zum Vorschein. „Es kam ja sonst niemand darauf, das auf die Schippe zu nehmen.“ Dem akademischen Ernst setzte er Leichtigkeit entgegen, auf Wollsocken tappt seine Satire heran.

Schön und gut, doch was ist mit der Politik? Die Sechziger Jahre, Berlin, Revolte, Revolte! „Über Dutschke unterhalte ich mich nicht. Über den habe ich nicht viel zu erzählen.“ Der Blick durch die 68er Brille ist ihm zu eng. Seine Kommilitonen waren keine Aufständler. Es war eine bürgerliche Elite, die da studierte, das verstand sich von selbst. Es brauchte kein Exzellenz-Komitee, um das Selbstwertgefühl der Studenten aufzupolieren. Politische Ambitionen hätten nur gestört. „Man war gegen Adenauer“, damit erschöpfte sich der aufrührerische Geist. Bernstein saß mit den anderen auf der Wiese vor dem Henry-Ford-Bau, lauschte einem charismatischen US-Präsidenten, der „ein geeintes Berlin in einem geeinten Deutschland“ forderte – unter demokratischer Fahne, versteht sich. Behaglicher als am radikalen Rand ist es Bernstein in der Mitte der Gesellschaft, da wo der gutbürgerliche Konsens schlummert, das Lieblingsobjekt seiner Satire.

Das Wichtigste liegt in der Mitte!
Bitte:
Streich weg das DE und am End das AND:
DEUTSCHLAND wird hiermit UTSCHL
genannt.

So dichtete der Satiriker. Und dann, auf der Terrasse des Pi-Café bei einer Tasse Tee, erzählt er doch von Dutschke. Da war diese Geschichte mit dem langhaarigen Typen. “Der wurde in Schöneberg von einer aufgebrachten Menge vermöbelt. Weil die ihn mit Dutschke verwechselt haben.” Bernstein lächelt vielsagend. “Dabei war Dutschke ein gut frisierter Typ, mit einem gepflegten Auftritt.“ Er nimmt noch einen letzten Schluck aus der Tasse. Wie der Satiriker gekommen ist, verabschiedet er sich: auf leisen Sohlen Richtung U-Bahnhof.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. 25. Januar 2011

    […] Ewige Ehe­ma­lige: F. W. Bernstein […]

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