Stille Erleichterung

Eine Kunstfigur auf Streifzug. Dieses Mal wandelt der Flaneur um die Donnerbalken der FU, entdeckt die lyrische Versuchung des stillen Örtchens und nimmt es mit der Wahrheit mal wieder nicht so genau. Von Konstanze Renken.

Es ist der Ort der Uni, dem sich niemand entziehen kann – für viele ein notwendiges Übel, für einige ein „Hort der Ruhe und Glückseligkeit“, von jedem aufgesucht und genutzt. Es ist der Ort, der uns alle gleich macht, der unser Menschsein in seiner triebhaftesten Urform hervorlockt und an dem jeder ein Abbild seines wahren Charakters auf der Klobrille hinterlässt. Durchschnittlich 2,75 Mal pro Tag wird der Student vom hektischen Unibetrieb an diesen Ort gespült, die Studentin sogar 3,5 Mal. Auch ich verspüre ein gewisses Bedürfnis und begebe mich auf die Suche nach einem geeigneten Platz…

Der nächste, bitte!

Ein großer Gang gegenüber der Mensa führt hinab in die tiefen Katakomben, deren einziger Zweck darin besteht, ihrer Laufkundschaft Erleichterung zu verschaffen. Das ist vernünftig, schließlich bauten schon die alten Ägypter ihre Aborte fernab der Stadtmauern, um der Übertragung von Krankheiten und der allgegenwärtigen Präsenz eines weniger lieblichen Odeurs entgegenzuwirken. Ich schreite durch die Eingangstür. Vor mir erstreckt sich ein Meer aus Waschbecken und Seifenspendern, elektrisches Licht erhellt den fensterlosen Raum. Ich durchquere ihn und betrete das Herzstück, ein schummriger Ort, an dem 16 orangefarbene Türen zwei Minuten visuelle Privatsphäre versprechen. Ein großer Stapel Toilettenpapierrollen an der Wand garantiert außerdem einen steten Nutzungsfluss aller Kabinen. Massenabfertigung at its best.
Eine Studie hat ergeben, dass der Anteil von Keimen und Bakterien in den mittleren Kabinen am höchsten ist, dreimal so hoch wie in der letzten und sogar viermal höher als in der zweiten und ersten. Mir scheint der Grad der Verdreckung jedoch in jeder Latrine gleich hoch, keiner entspricht auch nur im Geringsten meinen Bedürfnissen. Ich setze meine Suche fort.

Bilinguales Spülen

Werde ich hier fündig, inmitten der großen Namen der Weltliteratur? In der philologischen Bibliothek findet sich ebenfalls ein Ort der Erleichterung für die stressgeplagten Lernenden. Ich wandere durch die statischen Windungen des Gehirns, das in seiner Form tatsächlich dem Cerebrum Einsteins im Maßstab 1:1250 nachempfunden sein soll. Dann öffne ich eine obskure Falttür und befinde mich – mitten im Bunker. Geschätzte zehn Quadratmeter gekachelter, fensterloser Raum, eine Lokusschüssel, ein Waschbecken, eine Handtuchrolle, das war’s – stumm schmerzt mein Ästhetenherz. Dies ist kein Ort, der Wohlbefinden und Entspannung verschafft. Dies ist ein Ort, der Bilder von psychiatrischen Heilanstalten und Atombunkern vor meinem inneren Auge erscheinen lässt.
Ein rotes Warnschild erregt meine Aufmerksamkeit – „Achtung Automatikspülung!“. Zweisprachig wird die Benutzung dieser abnormalen Spülung erklärt. Plötzlich ein gurgelnder Lärm, die Toilette spült geräuschvoll wie von Geisterhand, erschrocken taumele ich rückwärts gegen die Falttür, die sofort einknickt und mich wieder ausspuckt in den orangefarbenen Gang. Ich stemme mich gegen eine Eisenpforte und flüchte zurück ins Tageslicht.

Wir gegen Viren!

Nach einigem Irren über den Campus betrete ich das JFK-Institut. Ein antiker Mosaikbrunnen geleitet mich zum Verrichtungsort der Notdurft. Dieser Brunnen ist ein Geschenk der Partneruniversität Athen, errichtet nach dem heraklitischen Modell „Alles fließt“. So fließe ich auch hinein in den hellen Raum, der luxuriös ausgestattet ist mit Fenstern und Wasserhähnen, die warmes Wasser speien sollen. Ich öffne eine Kabine, doch – o Schreck! – ihre Wand wurde nicht verschont vom Geist revolutionärer Rüpel, die zum Kampf gegen eine zu missachtende politische Überzeugung aufrufen: „Chase those crazy boldheads out of town! Together against facism!“. Auch die Wand der anderen Kabine konfrontiert mich mit persönlicher Überzeugung: „Ich liebe dich Alex, und das fortwährend“ – „Schön, jetzt weiß es wenigstens die Klofrau“, kommentierte ein mir sympathischer Zyniker. Ich beschließe, zu bleiben.
Als ich mir nach verrichteten Dingen die Hände wasche, fällt mein Blick auf ein kleines Plakat der Aktion „Wir gegen Viren“, ein Selbstverteidigungskurs gegen üble Krankheitserreger. Die meisten Viren und Bakterien finden sich jedoch nicht hier, sondern in der Zedat. Das Plakat sollte dort angebracht werden, gleich neben dem Zertifikat über die virenfreien Betriebssysteme. Während ich darüber sinniere, fällt mir auf, dass doch nur kaltes Wasser über meine Finger läuft. Ich drehe den Hebel in Richtung Wärme, doch plötzlich fließt gar nichts mehr. Grund dafür sind die Ratten im Rohrsystem der Uni, Nachkommen des aus dem Ruder gelaufenen Forschungsprojekts „Nagetiere im künstlichen Habitat“. Die Quelle ist versiegt, das heraklitische Modell an seine thermalen Grenzen gestoßen. Was für ein Affront.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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3 Responses

  1. Lumakaria sagt:

    ach du meine güte…
    der artikel wurde bestimmt nicht geschrieben, um die toiletten realitätsnah zu schilder, es ist ja kein reiseführer. wenn man literarisch schreibt, darf man übertreiben (stilmittel, ne?!)

  2. näppisch sagt:

    ich weis ja nicht, auf welches “notwendige Übel” frau renken sich sonst so setzt, wenn ihr der bolzen drückt.
    dass ihr “ästhetenherz” aber aus einen stinknormalen institutslokus einen “atombunker” macht, spricht schon ziemlich für eine amtliche hirnobstipation.
    kaum auszudenken, was bei flatulenz daraus geworden wäre… eine gaskammer?
    aber so ist das halt bei verstopfungen:
    egal wie kunstvoll man drückt, am ende kommt doch nur scheiße raus.

  1. 3. Juli 2012

    […] Tat­waffe Wolle: Womit man heute Streetart macht Fla­neur: Stille Erleich­te­rung Waren­fe­tisch: Tes­to­ste­ron zum […]

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