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Eine Suche nach Glück in zweiunddreißig Atemzügen.Von Yulian Ide.

Er war bereits zweiunddreißig Tage in Antwerpen, als er beschloss glücklicher werden zu müssen. Gerade zu wenig, um sich ‘Sinjoor’* nennen zu dürfen, jedoch sicher zu viel, um mir nichts, dir nichts wieder in seine Heimatstadt zurück zu kehren. Sie fängt traurig an, diese Geschichte, aber das ist meistens so.

Als er in der Stadt an der Schelde ankam, entpuppte sich der Beginn seines neuen Lebens als wesentlich schwieriger als anfänglich erwartet. In seiner Heimatstadt hatte er besetzte Häuser gesehen, die luxuriöser eingerichtet waren, als seine Wohnung in Antwerpen. Einige seiner Freunde meldeten sich nicht bei ihm. Und das obwohl er sich die ganze Zeit auf sie gefreut hatte. Es waren zweiunddreißig an der Zahl. Er war nicht einsam, bloß etwas weniger glücklich als zu Hause. Auch einen Job zu finden war schwieriger als gedacht. Es regnete und war nicht besonders warm. Insgesamt warein Leben eine Doppelnull auf einer Glücksskala von eins bis zehn.

Er war eine dieser Person, die sich nicht gerne mit schwierigen Dingen beschäftigte. Er erledigte alles am liebsten mit einer gewissen Leichtigkeit und möglichst viel Spaß. So geschah es, dass er eines Freitagnachts mehrere Hundert Plakate in der Stadt aufhing: “Schönes Leben gesucht” konnte man in schwarzen Majuskeln lesen. Etwas übertrieben vielleicht. Seine Plakate waren schwarz-weiß und sehr schlicht, sie hätten auch ein Off-Theaterstück oder eine dieser geschmacklosen Partys ankündigen können. Schwarz-weiß war auch das Foto von ihm. Er hoffte, mit einem Lächeln Antwerpener Herzen erobern zu können. Ganz unten stand seine Handynummer. Zweiunddreißig Plakate nahm er wieder mit nach Hause.

Kaum einen halben Tag später, er schlief noch tief und fest, erreichten ihnen die ersten Reaktionen. Sie kamen von Studenten, die mit ihm etwas trinken gehen wollten. Eine greise Frau, die einen neuen Enkelsohn brauchte. Ein Junge, der auf ein unverfängliches Tête-à-tête hoffte. Der regionale Antwerpener Fernsehsender rief ihn an und machte aus ihm ein Symbol der Einsamkeit. Eine monotone Frauenstimme kommentierte sein Schicksal. Der Beitrag dauerte zweiunddreißig Sekunden.

Es erschienen Zeitungsartikel über ihn und er bekam ungeahnt viel Rückmeldung auf seine schwarz-weißen Plakate. Hätte er sich je seinen Charakter aussuchen können, wäre er gern eines dieser stillen, aber tiefen Wasser gewesen. Bedauerlicherweise fand er sich jedoch immer im Mittelpunkt des Geschehens wieder und war alles andere als unergründlich. So auch nun wieder. Jeder wusste, wer er war. Cool fanden sie ihn. “Und was für einen Mumm der hat!” Er bekam zweiunddreißig Kurzmitteilungen und zweiunddreißig Anrufe.

Antwerpener sind ein elegantes Volk, das wusste er. Alles, was sie tun, tun sie auf eine beinahe herrschaftliche Art und Weise. Die Gläser, in denen man hier Milchkaffee serviert, sind schöner. Daneben liegt stets ein Täfelchen Schokolade. Jeder ist hier hübsch gekleidet, niemand brüllt oder benimmt sich schlecht. Zur Begrüßung bekommt man einen nichtssagenden Kuss auf die Wange. Im Rest Flanderns findet man sie überheblich und unnahbar. Antwerpener nennen ihre Stadt “d’Stadt” – als ob es keine andere gäbe. Sie sind stolz auf ihre Vergangenheit und Gegenwart. Und trotzdem wollten sie ihn ein Teil davon sein lassen. Offensichtlich war es ihm gelungen, Herzen zu erobern.

Die Verkäuferin im Second-Hand-Laden erkannte ihn und gab ihm extra Rabatt auf seine Einkäufe. Die Angestellte in der Bibliothek fragte, ob sein Leben denn nun schöner geworden sei. “Zweiunddreißig mal schöner”, antwortete er etwas verdutzt. Auf Partys musste er sich nicht mehr vorstellen, sein Name war bekannt. Der DJ winkte ihm begrüßend zu. Er erzählte seine Geschichte – wieder und wieder – und war es fast schon etwas leid, sie zweiunddreißig Mal zu wiederholen.

Inzwischen lag jene Freitagnacht bereits ein Weilchen zurück, als er begriff, dass es ziemlich einfach war, eine Doppelnull zu einem Plus zu korrigieren. Genau wie viele Geschichten davor, wird also auch diese glücklich enden. Eine schöne Wohnung hatte er unterdessen gefunden, er lag in seinem Bett. Keine Leute um ihn herum, kein Jubel, kein Trubel, einfach eben allein. Es war wieder eine Freitagnacht. Im Hintergrund erklang leise ein Lied in seiner Muttersprache. Sein Handy klingelte, es war eine Einladung für die hippste Party der Stadt: “Du bist auf der Gästeliste. Plus Zweiunddreißig.”

* Eigenbezeichnung gebürtiger Antwerpener, Anm. der Redaktion

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

2 Responses

  1. Cata sagt:

    Eine kleine, melancholische Episode aus dem Leben gegriffen und vorsichtig in eine Kurzgeschichte gewickelt… Bravo, chéri!

  1. 3. Juli 2012

    […] » Deut­sche Über­set­zung der Inter­na­tio­na­len […]

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