Nerd-Attack

Werbung ist auf dem Campus längst allgegenwärtig. Auch der Software-Riese Microsoft will ein Stück vom Kuchen und verschluckt sich dabei an der Jugendkultur. Von Katharina Hilgenberg.

Foto: Cora-Mae Gregorschewski

Karohemd, in der Brusttasche ein programmierbarer Taschenrechner. Der Gürtel direkt unterm Brustkorb festgezurrt, damit Papas alte Cordhose nicht rutscht und gerippte Baumwollschlüpfer mit Star Trek-Muster entblößt. Keine Frisur, dafür eine riesige Hornbrille.

Mathematiker, Informatiker, Physiker – gehänselt, gemobbt und ausgegrenzt wegen zu hoher Intelligenz bei fehlender Sozialkompetenz.

Soweit der Stereotyp, den dank der Kategorisierung der Jugendkultur durch amerikanische Teeniefilme inzwischen jeder kennt. Seitdem existiert das soziale Phänomen des Nerds. Seit diesem Jahr ist Nerdsein cool.

Der Rückgriff auf die neue In-Randgruppe liegt nahe, wenn Microsoft, Epizentrum des Nerdtums, ein paar nerdbrillentragende Werbehipster beauftragt, eine Kampagne für das neue Betriebssystem Windows-7 zu entwickeln.

Das Resultat ist die softere Version eines bekannten Ausspruches des über-Nerds und Microsoft-Gottes Bill Gates: „Sei nett zu Nerds. Wahrscheinlich arbeitest du später mal für einen“. Doch die Kampagne „Ein Herz für Nerds“ kommt auch ohne die Chef-in-spe-Drohung aus. Stattdessen soll der Normalo-Student dem netten Technikfreaks danken für PC-Notdienste, Basteln und Tüfteln, Formatierungstipps, für Nullen und Einsen, Java Script, für die Atombombe, ihr Essensgeld von letzter Woche… Und natürlich nicht zu vergessen für Nerdy-Brillen-Styles.

Der „Nerdomat“ ist das Herzstück der Kampagne, präsentiert von einem muskulösen Männermodel, das sein zeitweiliges Nerd-Dasein wohl bei American Apparel gekauft hat. Der grüne Kasten, eine Mischung aus Jukebox, Snackautomat und Videospiel steht seit Monaten in der Rost- und Silberlaube.

Wie jeder anständige Nerd wird auch der „Nerdomat“ vom Großteil der Studenten einfach ignoriert. Kein Wunder bei einer Maschine, die an drei von fünf Tagen außer Betrieb ist.

Aber damit noch nicht genug: Trifft man das Ding mal im funktionstüchtigen Zustand, dann braucht der Durchschnittsstudent zusätzlich einen Gewinncode (oder einen echten Nerd mit Hacker-Erfahrung), um an den versprochenen Werbegeschenksegen, die „nerdigen Gimmicks“, zu kommen.

Es folgt der Showdown am Touchscreen. Durch ein Dickicht von Windows-7 Werbung navigiert sich der Spieler zum Minigame. Die Aufgabe: Bring den Nerd über den Fluss, indem er auf Baumstämme, Flöße und Krokodile hüpft. Abstürzen ist so gut wie unmöglich. Selbst wer noch nie auf einer LAN-Party war, braucht beim zweiten Anlauf nicht mehr als 10 Sekunden ans andere Ufer. Und das alles in der großpixeligen Optik der ersten Videospiele, dem Retrochic der Informatik.

Tatsächlich ist das Ganze ziemlich langweilig und anstelle von Gewinnen spuckt der Automat zur Krönung auch nur Frechheiten aus: „Tja, das war nichts. Das Leben ist kein Streichelzoo.“ Von Nerd zu Nerd kann man so einen kecken Spruch schon mal bringen dachten sich wohl die Spezialisten bei Microsoft und vergaßen: Vielleicht trifft es den Boss in Spe. Der dürfte wiederum wenig Spaß verstehen, wenn es um die Weisheiten der coolen Kids auf dem Campus geht.

Während Apple nerdige Technikprodukte als Szeneaccessoires an den Mann bringt, scheitert Microsoft selbst bei dem Versuch, nerdige Technikprodukte als das zu verkaufen was sie sind: Nerdige Technikprodukte.

Und als ironisches Sahnehäubchen läuft der Nerdomat mit Windows XP. Tja, das war nichts, Microsoft. Das Leben ist nun mal kein Computerspiel.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

5 Responses

  1. Delite sagt:

    Ich kann euch gern mal ein Bild von den Schlangen machen, die bei uns in Mainz vor diesem Teil standen 🙂
    Mein Mail habt ihr ja wenn ihr eins braucht!

    naja, vielleicht bin ich auch nur zu wenig Super-Nerd dafür…

    pe es: Guter Artikel über Demokratie im Trancezustand. Hoffentlich lebt ihr es auch 😉

  2. Ina Meissner sagt:

    Ohja, eure Bewertung dieses Nerdomats finde ich dämlich. Habs gerade auf Facebook den Link hier gesehen und kann eure Meinung nicht nachvollziehen. Ich hab mir im Januar n nagelneues Windows da rausgezogen und finde, dass es endlich mal ne witzige Aktion ist! Aber das nur so am Rande…

  3. N3rd sagt:

    MS != Nerd
    q.e.d

  4. Jan Schreier sagt:

    Ja, das mit XP ist dämlich. Allerdings finde ich den Rest des Automaten ansprechender als die letzte Nespresso, Wundertüte oder die PSD Bank (oder wars doch PDS?) Werbung bei uns in der Mense… Aber wir D-Studenten haben ja eh mehr Mecker- als Lobnatur für die Dinge der anderen…

  5. Julian Barg sagt:

    …nicht zu vergessen die schöne Zeit, in der der Automat eine Fehlermeldung angezeigt hat.

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