„OSI-Dozenten haben versagt“

Der Privatdozent Götz Aly hat zwei Studierende des Otto-Suhr-Instituts beim Plagiieren ertappt. In seiner wöchentlichen Kolumne in der Berliner Zeitung schreibt er nun über seine „kleinen Guttenbergs“. Mit FURIOS spricht er über den laschen Lehrbetrieb am OSI.

Nicht nur kleine Guttenbergs: Götz Aly in seinem Büro mit seiner „Florentinerin“. Foto: Cora-Mae Gregorschewski.

Herr Aly, wie groß war die Resonanz auf Ihre Kolumnen?

Ich habe ungewöhnlich viel Zuspruch erhalten. Eine Mutter berichtet zum Beispiel: „Gut, dass Sie darüber schreiben. Meine Tochter beschwert sich immer darüber, dass Plagiieren schon in der Oberstufe sehr weit verbreitet ist und von den Lehrern mit guten Noten honoriert wird, während sie sich auf ehrliche Weise abmüht.“ Zwei Professoren haben mir mitgeteilt, dass sie sich dem Problem studentischer Plagiate künftig stellen wollen. Studierende schreiben, dass das Plagiieren durchaus gängig ist.

Sie wollten die Sache zunächst eigenhändig regeln, haben sich von einer Plagiatorin deren sämtliche Hausarbeiten vorlegen lassen. Wie hat das OSI darauf reagiert?

Nicht besonders freundlich. Ich glaube, man fühlt sich dort auf die Füße getreten. Studiendekan Ingo Peters hat mir mitgeteilt, dass er mein Vorgehen für „anmaßend“ hält.

Hat die Ablehnung des OSI, Sie zum außerplanmäßigen Professor zu ernennen, eine Rolle für die Entstehung der Kolumnen gespielt?

Dass ich überhaupt darüber schreibe, hängt mit dem Fall Guttenberg zusammen. Unter dem Eindruck dieser Affäre bin ich auf die Idee gekommen, immer mal wieder Stichproben zu machen. Das hat nichts mit dem OSI zu tun. Vor zwei Jahren hätte ich solche Stichproben wahrscheinlich nicht gemacht.

Sie waren dem OSI lange verbunden, haben selbst dort studiert. Man erhebt doch nicht gern öffentliche Anschuldigungen gegen sein altes Institut.

Es mag erleichternd hinzukommen, dass mich das OSI im Grunde als Vogelfreien behandelt und mich in einem absurden mehrjährigen Verfahren extremer Willkür ausgesetzt hat. Leider können sich Institutionen nicht schämen. Die Beweggründe für die Kolumnen liegen aber in der Massivität des Plagiierens, die ich so nicht vermutet hatte.

Sie sprechen von Massivität, aber in der ersten Kolumne schreiben Sie, dass die Hausarbeiten im Großen und Ganzen gut waren.

Ich habe nur Stichproben vorgenommen. Aber bei 24 Arbeiten auf diese Weise zwei Plagiate zu finden, ist doch schon eine Menge. Ebenso interessant sind die Selbstplagiate. Damit meine ich, dass ein Studierender dieselbe Arbeit mit verändertem Titel, modifizierter Einleitung und neu formuliertem Schluss in mehreren Seminaren einreicht. Ich glaube, derartiger Betrug findet am OSI öfter statt, und ich vermute unter den vorgelegten Seminararbeiten auch zwei Selbstplagiate. Es ist jedoch aussichtlos, solches Fehlverhalten nachzuweisen, solange sich der Dozent keinen Überblick über den gesamten Studienverlauf seiner Studierenden verschaffen kann.

Sie schreiben, dass es an der Zeit sei, das „verantwortungslose Nichtstun, das hinter dem hochtrabenden Begriff Hochschulautonomie versteckt wird“, zu beenden. Was meinen Sie damit?

Die überführte Studentin hat ihre sämtlichen, insgesamt sechs, Hausarbeiten am OSI plagiiert. Alle wurden mit 1,3 bis 2,3 bewertet. Die Studentin sagte mir, dass sie immer wieder mit dem Plagiieren hatte aufhören wollen. Aber durch die leicht errungenen Erfolge ist es zur Sucht geworden. Sie hat damit ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zerstört. In ihrem Fall haben sechs Hochschullehrer versagt. Es gibt – vermutlich nicht nur am OSI – eine „Kultur des Wegsehens“. Das ist für alle Beteiligten bequem, jedoch verantwortungslos und pflichtvergessen.

Ist die Hochschulautonomie Schuld an der laxen Bewertungspraxis des OSI?

Ja. Die Hochschullehrer wissen, dass Ihre Notengebung von keiner Instanz kontrolliert wird, anders als es zum Beispiel bei Abiturarbeiten üblich ist. Das alles rangiert fälschlicherweise unter dem Begriff Hochschulautonomie. Die universitären Selbstverwaltungsmechanismen tragen nichts zu einer vernünftigen Selbstkontrolle bei. Bezeichnend hierfür ist ja der Brief von Studiendekan Peters an mich. Er missbilligt, und zwar im Namen des gesamten Dekanats, meine Initiative, mir einen Überblick über den Studienverlauf meiner „kleinen Guttenbergs“ zu verschaffen. Mir scheint, als wolle er die Betrüger bestrafen und das institutionelle Versagen, die Nachlässigkeit der verantwortlichen Hochschullehrer, lieber unter den Teppich kehren.

Wir müssen zugeben, dass ihre Handhabung für uns auch ein Geschmäckle hat.

Das finde ich nicht. Ich erachte es als meine Pflicht, so etwas zu überprüfen. Interessant ist auch, dass es beide Studierenden es abgelehnt haben, mir eine neue, selbstgeschriebene Arbeit vorzulegen. Das zeigt doch, wie sehr ihnen das Plagiieren schon zur selbstzerstörerischen Praxis geworden war. Niemand hatte bislang versucht, sie von dieser Bahn abzubringen. Wenn man das aber tun will, dann muss man ernsthafte Gespräche mit den Studenten führen, und zwar anhand klarer Fakten. Beide Studierende hatten mir etwas von einer einmaligen Tat vorgeflunkert. Aber beide hatten, wie ich anhand von Nachprüfungen feststellen konnte, eine Plagiatorenkarriere hinter sich. Man muss darüber reden, wie es dazu kommen konnte.

Inwiefern ist ein solches Verhalten ein Phänomen der heutigen Studentengeneration?

Fälschungen hat es zu allen Zeiten gegeben. Aber Plagiieren ist heute sehr viel einfacher als früher. Das Internet erleichtert das Kopieren ungemein. Im Fall des einen Studenten haben zwei OSI-Dozenten versagt. Sie haben Hausarbeiten im Campusmangement mit „gut“ testiert, die der Student niemals geschrieben hatte, und diese vornehm als „besondere Hausarbeit“ umschrieben.

Also sind die Adressaten Ihrer Kritik in erster Linie die Dozenten, nicht die Studierenden?

Ich habe erlebt, dass Dozenten willkürlich Noten festgesetzt haben, nach dem Motto: Den müssen wir irgendwie durchkriegen. Hauptsache weg! Wer die OSI-Notengebung kennt, weiß, dass man mit einer 3,7 eigentlich durchgefallen ist. Ich bin als Schriftsteller freier Unternehmer; ich habe lange in Zeitungsredaktionen gearbeitet und war dort an vielen Personalentscheidungen beteiligt. Darum ist mein innerer Maßstab für eine gute Note immer: Würde ich diesen Prüfling einstellen? Bei 80 Prozent sage ich mir innerlich: Nein! Dieser hohe Prozentsatz ist meines Erachtens Folge eines laschen, unpersönlichen Lehrbetriebs.

Was muss sich ändern?

Es muss eine individuelle Verantwortung der Lehrenden für ihre Studenten geben. Das Hauptproblem ist die Anonymität. Wenn ich die Seminararbeiten durchlese, habe ich zu keiner Arbeit ein klares Gesicht vor mir. Meine Kinder haben zum Beispiel relativ verschulte Studiengänge absolviert. Sie hatten alle drei ein direktes Verhältnis zu Ihren Lehrern. Sie sind noch heute stolz darauf, bei dem und dem studiert zu haben. Diese Professoren haben die Eltern anlässlich akademischer Feiern mit Handschlag begrüßt. Das hat zu ihrem Studienerfolg beigetragen. Zu fälschenden und lernschwachen Schülern gehören immer lehrschwache und ignorante Lehrer.

Sehen Sie diese Probleme besonders am OSI, wo das Ideal vom „freien selbstbestimmten Studium“ propagiert wird?

Das kann ich nicht beurteilen. Allerdings handelt es sich nicht um Probleme der Massenuniversität oder des Bachelor-Master-Systems – das ich grundsätzlich gut finde. Es geht um verantwortungsbewusste Lehre. Deswegen befürworte ich das amerikanische Modell der Mentoren-Programme. Es muss eine enge Lehrer-Schüler-Bindung geben. Dann wird die Zahl der Plagiate automatisch abnehmen.

Wo bleibt die individuelle Schuld der Betrüger?

Studierende, die wissentlich betrügen, tragen auch die Verantwortung. Allerdings werden sie durch die Strukturen dazu ermuntert. Die Schuld ausschließlich oder in erster Linie bei den Studierenden zu suchen, erscheint mir verfehlt.

Wie wollen Sie mit den beiden ertappten Studierenden weiter verfahren?

Beide sollen mir Berichte über ihre jeweilige Studiensituation schreiben, dann sehen wir weiter. Für die Studentin will ich eine Art Patenschaft übernehmen. Ich halte sie für fähig und intelligent. Sie ist wie in einem Suchtprozess auf die schiefe Bahn geraten. Ich werde ihr anbieten, dass sie mir ihre künftigen Hausarbeiten vorlegt, damit sie aus ihrer Plagiatssucht herauskommt. Sie muss wieder das Selbstvertrauen finden, ihre Arbeiten selber zu schreiben – wie sie es in der Schule konnte, wie sie es übrigens auch in ihrem Nebenfach kann.

Können Sie sich dafür verbürgen, in Ihrem Leben alle Fußnoten korrekt gesetzt zu haben?

Meine älteren Arbeiten beschäftigen sich meist mit Themen, die vor mir noch nie jemand behandelt hatte und mein Stolz bestand darin, die anderen auf ihre Lücken, ihre Unkenntnis der Quellenlage aufmerksam zu machen. Im Fall meines neuen Buches, das einen großen Zeitraum umfasst, gerät man eher in der Versuchung. Aber ich bin guter Dinge, dass niemand in mir einen kleinen oder mittelgroßen Guttenberg entdecken wird. Ich kenne jedoch eine Reihe von Autoren, zum Teil angesehene Leute, die bei mir abgeschrieben haben.

Das Gespräch führten Marcus-Andreas Goossens und Hendrik Pauli.

Zur Person

Götz Aly, 64, ist einer der profiliertesten deutschen Historiker der Gegenwart. Er studierte von 1968 bis 1971 am Otto-Suhr-Institut. In den Siebzigerjahren leitete er ein Kinder- und Jugendheim in Spandau, um – nach eigener Aussage – „das Proletariat zu revolutionieren“. Seitdem pendelt Aly zwischen Journalismus und Wissenschaft. Von 1980 bis 1982 und von 1990 bis 1992 war er Redakteur bei der taz, von 1997 bis 2001 bei der Berliner Zeitung. Er forscht unabhängig vom Universitätsbetrieb, vor allem zum Nationalsozialismus und zum Holocaust. 2005 veröffentlichte Aly sein kontroverses Buch „Hitlers Volksstaat“, 2008 die biographisch geprägte Streitschrift „Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück“. Im August erscheint sein neues Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800-1933“.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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