„Da kommste nich raus“

Sebastian Lehmann und Marc-Uwe Kling sind zusammen 50% des Autorenkollektivs „Lesedüne“, mit dem sie alle zwei Wochen im Kreuzberger Monarch auf der Bühne stehen. Fortsetzung des FURIOS-Interviews mit Sebastian Lehmann und Marc-Uwe Kling. Von Rebecca Ciesielski und Konstanze Renken

Marc-Uwe Kling und Sebastian Lehmann. Foto: Cora-Mae Gregorschewski

In deinem Buch, Sebastian, heisst es: „ Die großen Umbrüche sind Vergangenheit. Das Schreiben darüber auch. Statt Kunst machen wir heute Vorabendserien und sind flexibel, belastbar, innovativ, begeisterungsfähig, teamfähig und kreativ.“ Was bedeutet es für euch, heute Kunst zu machen und Künstler zu sein?

Marc-Uwe Kling: Ehrlich gesagt, hatte ich mir vorgestellt, weniger zu arbeiten.

Sebastian Lehmann.: Und weniger Geld zu verdienen (lacht). An dieser Stelle im Buch werden die Verwertungszusammenhänge kritisiert, aber auch gute Vorabendserien können „Kunst“ sein. Vielleicht muss man als Künstler gerade nicht diese Standardattribute besitzen, also flexibel, belastbar und teamfähig sein, weil man sich nicht in der klassischen Abhängigkeitssituation eines Angestellten befindet.

MUK.: Man befindet sich aber in einer neuen Abhängigkeitsform. Wenn man sich immer von Projekt zu Projekt hangeln muss, wird man zum Selbstausbeuter. Wahrscheinlich besteht der entscheidende Unterschied eher darin, dass man sich mehr verweigern kann.

Worüber schreibt ihr und was inspiriert euch zu euren Geschichten?

SL.: Unsere Lesebühne „Lesedüne“ findet alle zwei Wochen statt. Diese Regelmäßigkeit zwingt uns dazu, ständig neue Geschichten zu schreiben. Es ist schon mehr oder weniger so, dass wir eigentlich über alles schreiben. Ich schreibe über alles.

MUK.: Ansonsten schadet etwas Originalität nie. Außerdem schreibt man nur über reale Personen, man nennt sie halt anders. Man übernimmt zwar nicht eins zu eins eine Person und portraitiert sie, aber eine Figur hat immer Charakterzüge von verschiedenen Personen. Insofern hat das natürlich immer was mit dem eigenen Leben zu tun, und die Ideen muss man auch aus diesem Leben bekommen.

Sebastian, was fasziniert dich so sehr an Jugendkulturen?

SL.: Jugendkulturen sagen sehr viel über die Gegenwart aus. Es gibt total abgefahrene, die völlig losgelöst von allem funktionieren. Und das kann für den einzelnen Jugendlichen zwei Wochen später schon wieder ganz anders aussehen. Jeder kennt das. Jeder ist schon irgendetwas gewesen.

Marc-Uwe, warum hört das Känguru Nirvana, wenn es doch früher beim Vietcong war?

MUK.: Kann ich erklären! Das Känguru behauptet ja, dass es nach dem Vietnamkrieg in die DDR gekommen sei, als diese Arbeitskräfte aus den sozialistischen Bruderstaaten eingeladen hat. Irgendwann hat es dann unter der Hand Nirvanaplatten gekauft. „Westmusik“, das war damals natürlich was ganz Besonderes.

SL.: Und dann hat es angefangen, selbst Musik zu machen.

MUK.: Ja, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Michel Foucault, Leibniz´ Theodizee, „Die Essenz des Hegel´schen Gesamtwerks“: Braucht man für eure Texte ein (Philosophie-)Studium?

SL.: Ich denke, die Texte funktionieren auf mehreren Ebenen. Es ist definitiv möglich, sie ohne philosophisches Hintergrundwissen zu lesen. Wenn dieses aber vorhanden ist, funktionieren sie nochmal ganz anders.

MUK.: Mein zweites Buch wird „Das Kängurumanifest“ heißen. Es fängt mit einer Szene an, in der ich kopfüber von der Couch hänge. Dann kommt das Känguru und stellt mich „vom Kopf auf die Füße“. Entweder überliest du diese Metapher, oder du weißt, dass Marx die Hegelsche Theorie „vom Kopf auf die Füße“ gestellt hat. Beide Lesarten sind problemlos möglich.

Bekommt ihr manchmal Fanpost oder Themenvorschläge für eure Texte?

MUK.: Mittlerweile kann man mir nicht mehr direkt schreiben, sondern nur noch meiner Agentur. Das war natürlich nicht immer so. Würde ich jetzt jede Mail beantworten, käme ich überhaupt nicht mehr dazu, selbst zu schreiben. Das ist ein sehr schwieriges Thema, weil man ja nicht arrogant sein möchte. Trotzdem schreiben noch relativ viele der Agentur. Manchmal sind auch spannende Dinge darunter. Zum Beispiel sind drei Filmstudenten aus München gerade dabei, die „Theorie und Praxis“-Geschichte als Stopmotion umzusetzen. Die haben mir Bilder von den Sets geschickt. Das fand ich echt krass. Ich habe auch mal ein paar Arbeiten von Schülern bekommen, die mein Buch als postmoderne Literatur analysiert haben.

Auf der Seite der Lesedüne zitiert ihr den Deutschlandfunk, der über eure Teamtexte sagt, dass diese „traurige Geschichten aus der anstrengenden Welt des Kapitalismus“ seien. Was haltet ihr von dieser Aussage?

SL.: Traurig ist in diesem Kontext ein zu starkes Wort. Eher kritisch. Wir machen halt „systemrelevanten Humor“.

MUK.: Schreib doch: „postpolitisch-selbstreflexivironisch“!

SL.: Genau! Wir sagen nicht, wie das viele Kabarettisten tun, „Merkel ist scheiße“, oder so. Wir reflektieren mit Hilfe der Sprache.

MUK.: Aber dadurch wird eine Aussage noch lange nicht postpolitisch! Man könnte eher sagen, dass das eine politisch ist und das andere eigentlich nur so tut. Wenn du die ganze Zeit von Oberflächlichkeiten sprichst und dabei viele Politikernamen anführst, ist das noch lange nicht politisch.

Tretet ihr lieber in kleinen Literaturkneipen oder in großen Locations auf?

MUK.: Ich glaube, es kommt mehr auf die relative Anzahl des Publikums an als auf die absolute. Wenn du in einem Raum, der für hundert Leute konzipiert ist, vor hundert Leuten auftrittst, dann ist die Stimmung großartig. Wenn du aber in einem Raum, der für tausend Leute konzipiert ist, vor hundert Leuten auftrittst, dann ist das eine Katastrophe. Lieber klein und voll als groß und nicht voll. Da könnte man echt mal eine physikalische Abhandlung drüber schreiben, über die physikalischen Eigenschaften von Stimmung und Publikumsdichte, oder so.

Was wäre aus euch geworden, wenn ihr Bücherschreiben und Poetry Slam nicht für euch entdeckt hättet?

MUK.: Oh Gott, was ganz Trauriges. Es war aber immer mein Berufsziel, in irgendeiner Weise, durch Lieder oder Texte, Geschichten zu verbreiten.

SL.: Was macht man mit einem Geisteswissenschaftenstudium? Das Problem kennt ihr sicher auch, oder? Ich wollte eigentlich immer in den Journalismusbereich. Aber dort Fuß zu fassen, ist ja fast noch schwieriger, als sich als Künstler zu etablieren. Ich hab jahrelang Scheiße für wenig Geld geschrieben.

MUK.: Jetzt schreibst du Scheiße für mehr Geld?! (lacht)

Danke für das Gespräch

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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