Videokunst hinter bröckelnden Mauern

In der Hittorfstraße 5 verbirgt sich ein verfallenes Gemäuer, dem man nicht ansieht, dass es in seinem Inneren moderne Kunst beherbergt. Wolf Kahlen ist der Vater der „Ruine der Künste Berlin“ und traf die FURIOS zu einer Führung.

Von Catharina Tews

Foto: Catharina Tews

Im urigen Garten der zerschossenen Villa sitzt ein Mann, dessen schneeweißer Backenbart schulterlang gewachsen ist. Es wirkt so, als hätte er ein Leben lang hier gesessen. Der Mann ist Wolf Kahlen, 71 Jahre alt und Gründer der „Ruine der Künste Berlin e.V.“

„Damals haben die Zeitungen geschrieben, dass ein Kadettenkapitän dieses Haus mit seinem Leben vor den Russen verteidigt habe“, erzählt Wolf Kahlen. Tatsächlich war es ein normales Wohnhaus, das im Frühling 1945 von den Russen zerstört wurde. Danach stand es leer, bis der Medienkünstler Wolf Kahlen zu Beginn der 80er Jahre mit den Renovierungsarbeiten im Inneren der Ruine begann. Er nennt es ein „Joint Venture mit den Russen“ – sie hätten die Fassade kreiert, er das Innenleben.

RUINE DER KÜNSTE BERLI steht am Eingang

Um die vielen Einschusslöcher herum bröckelt der graue Putz von der Fassade und legt roten Backstein frei. Kleine Birkenbäume wachsen aus dem Giebel und ein großer Kriech-Wachholder breitet sich gemütlich vor dem Gemäuer aus. „RUINE DER KÜNSTE BERLI“ steht am Eingang in metallenen Lettern – das ‚N‘ sei schon vor einiger Zeit abgefallen. Vor dem Gebäude befindet sich ein meterhohes gläsernes Buch, in dem ein echtes Buch eingeschlossen ist. Anfangs haben die Nachbarn noch gefragt: „Und wann machen Sie die Fassade?“, doch bald wurde klar, dass Kahlen das verfallene Äußere des Gebäudes erhalten würde. „Die Ruine sollte in ihrem Herzen moderne Kunst tragen und so als Sinnbild für das Gestern und Heute, die Vergänglichkeit und Beständigkeit stehen.“ Vier Jahre lang sanierte und finanzierte er den kompletten Innenraum des Gebäudes, u.a. durch seine Dozentur als Architekt an der Technischen Universität. Vier Jahre, in denen er immer wieder mit städtischen Auflagen zum Umbau der Ruine kämpfen musste.

Es gibt immer einen Weg

Problematisch war die marode Fassade. „Es gibt immer einen Weg, das zu erreichen, was man will“, sagt Kahlen und lächelt verschmitzt. Er beauftragte einen Fotografen, die Einschusslöcher abzulichten, zu vergrößern und an den gleichen Stellen im Inneren der Villa anzubringen. „Als die Bauleute die Fotos lobten und erst im Nachhinein ihren Ursprung erfuhren, konnten sie nicht mehr ihr Gesicht verlieren und ließen mich machen.“ Auch die Freie Universität hätte Anspruch auf die Ruine anmelden können: „Als die Leute in den 80ern hier wegzogen, hat die FU erst einmal alle Gebäude bezogen, um die Pläne von der Rost- und Silberlaube verwirklichen zu können. Die Ruine musste dem Konzept aber glücklicherweise nicht mehr weichen“, erzählt Kahlen und streicht mit den Fingern über seinen weißen Backenbart.

140 Ausstellungen in 25 Jahren

1985 gründete Kahlen mit sieben weiteren Künstlern den gemeinnützigen Verein „Ruine der Künste Berlin e.V.“ und hat seitdem über 140 Ausstellungen organisiert. Heute umfasst der Verein 30 ständige Mitglieder. Es ist eine unentgeltliche Experimentierwerkstatt für Künstler aller Sparten. Ihr Manifest zur Avantgarde-Kunst soll Klarheit bringen: „Die Ruine der Künste Berlin ist ein privater Ort, für materielle und immaterielle Kunst.“ Kahlen spricht von individueller Kunstvermittlung, vom Brechen mit den Tabus, wie dem Umgang mit dem Tod, und von seiner Ablehnung der Kommerzialisierung von Kunst. „In situ“ – Ortsbezogenheit ist ihm wichtig: „Der Künstler zieht hier ein und erschafft seine Kunst in unseren Räumen, so dass sie am Ende maßgeschneidert ist, wie ein nasses T-Shirt auf dem Körper.“ Außerdem widmeten sich mehrere Künstler ortsloser Kunst im Internet.

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Ein Karaoke-Video aus der Kulturrevolution

Vorbei an einer Hollywoodschaukel und einem kleinen Kräutergarten steigt Wolf Kahlen die Treppe zu seiner Ausstellung hinauf: „Wolf Kahlen 14 Video-Skulpturen“. Das Licht der flimmernden alten Fernsehapparate spiegelt sich auf den diagonal verlegten Dielen. Sie deuten in Richtung Süden. Jalousien dunkeln den Raum ab. Ein schräg aufgehängter Fernseher zeigt ein schiefes Propagandavideo aus Zeiten der maoistischen Kulturrevolution; die Karaoke-Version. „Mao unten“, so der Name der Videoinstallation, hängt auch auf der diesjährigen Biennale in Venedig – im asiatischen Pavillon zeigt man 18 seiner Filme. Die Klänge mischen sich mit dem von Sägegeräuschen aus seinem Film „Reden, Sägen, Milch eingießen“. Auf einem Mac kann man das filmische Lebenswerk des Medienkünstlers seit den 60er Jahren aufrufen. Während ein alter „Rembrandt“-Fernseher, das zweite Fernsehmodell der DDR, eine Schattendarstellung zum echten Rembrandt zeigt, sieht man auf einem anderen eine Performance zur Videoüberwachung. Eine kleine Holzskulptur im Nebenraum versteckt eine Kamera in einem Astloch und an der Fensterfront werden umgedrehte Bildröhren von buntem Licht erhellt.

Die Dinge kommen zu dir, wenn du sie brauchst

Müsste man Wolf Kahlen charakterisieren, hätte man schon Probleme, zu unterscheiden, ob er nun an erster Stelle Künstler oder Philosoph ist. Seine Erfahrungen mit der asiatischen Kultur und die Konvertierung zum Buddhismus sind deutlich spürbar. Der Mann mit dem Backenbart und den spitzen Zähnen wirkt zufrieden. „Was ist denn so schlimm an der Vergänglichkeit? Nach der Geburt stimmen wir uns aufs Leben ein und im Leben auf den Tod. Wir müssen die besonderen Momente als selten und endlich begreifen und darin ihre Kostbarkeit sehen“, sagt der 71-Jähre mit ruhiger Stimme.

Daniel Brühl feierte seinen Dreißigsten

Doch die Zeiten haben sich geändert. Früher haben Künstler wie Wolfgang Laib, Jochen Gerz, Kounellis und La Monte Young, noch bevor sie in die großen Berliner Galerien kamen, bei ihm ausgestellt. Heute, als Rentner, kann er solche Ausstellungen nicht mehr finanzieren. „Ab November werden wir vermutlich nur noch am Wochenende öffnen oder ganz schließen müssen, da uns das Geld zum Heizen fehlt.“ Manchmal vermieten sie das Gelände für Filmpartys, Hochzeiten und Geburtstage. „Letztes Jahr hat der Schauspieler Daniel Brühl seinen dreißigsten Geburtstag bei uns gefeiert“, sagt Kahlen. Aber die Besucherzahlen stagnieren nach wie vor und auch die Studenten bleiben fern. „Früher hatten wir gehofft, dass uns die Studenten die Bude einrennen oder sich als freiwillige Aufsicht melden würden, doch es kam anders. Ein Philosoph hat einmal gesagt: ‘Die Dinge kommen zu dir, wenn du sie brauchst’ – darauf hoffe ich nach wie vor.“

Ruine der Künste Berlin e.V.

Website: http://home.snafu.de/ruine-kuenste.berlin/adresse.htm

„Wolf Kahlen 14 Video-Skulpturen“ bis 31. Oktober

Eintritt frei

Öffnungszeiten nach Vereinbarung:

Tel.: 030/ 83 13 70 8

Mail: ruine-kuenste.berlin@snafu.de

Hittorfstraße 5/ 14195 Berlin

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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