„Wir leben in einem Paradox“

Elmar Altvater im Gespräch mit Margarethe Gallersdörfer und Matthias Bolsinger über Krise, Widerstand und Alternativen zum Kapitalismus.

Elmar Altvater 2011. Foto: Cora-Mae Gregorschewski

Professor Dr. Elmar Altvater hatte 33 Jahre lang den Lehrstuhl für Politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft inne und ist ein viel zitierter Kapitalismuskritiker. Unmittelbar vor unserem Interview sprach er gemeinsam mit Sahra Wagenknecht, Stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke, vor Studierenden der Occupy FU-Bewegung.

Guten Tag, Herr Altvater! Reden wir über Geld.

Ja, bitte! Haben Sie welches? (lacht) Über Geld reden übrigens nur diejenigen, die keines haben. Ich jedenfalls rede dauernd über Geld.

Sie wuchsen in der Ära Adenauer auf – welchen Stellenwert hatte Geld im Vergleich zu heute?

Geld war immer knapp – aber das hat es ja so an sich, sonst wäre es ja kein Geld. Ich habe schon in meiner Schulzeit gearbeitet, auf dem Bau und bei einer kleinen Lokalzeitung. Mein Vater war Bergmann, meine Mutter Hausfrau. Während meines Studiums der Ökonomie und Soziologie hat mich zunächst meine Großmutter unterstützt und dann die Stiftung Mitbestimmung, Vorläufer der Hans-Böckler-Stiftung, die Stiftung der Gewerkschaften, weil ich als Student gewerkschaftlich und im damaligen Sozialistischen Deutschen Studentenbund engagiert war. Zuvor war ich, schon seit meiner Schulzeit, Mitglied in der SPD. Das war in meinem konservativen Umfeld nicht einfach, aber es war eine bewusste Entscheidung. Nach der sogenannten Unvereinbarkeitserklärung der SPD 1961, durch die man sich entweder für die SPD- oder die SDS-Mitgliedschaft entscheiden musste, trat ich aus der SPD aus und blieb im SDS.

1971 wurden Sie mit nur 32 Jahren Professor für politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut. Seitdem hat sich dort viel getan.

Ich habe mich bemüht, dem Ruf der dortigen Studenten nach marxistischer Lehre am OSI gerecht zu werden. Einige andere kamen dann noch nach, aber der marxistische Ansatz war am OSI hauptsächlich unter den Assistenten verbreitet. Bei den Berufungen waren Uni-Leitung und Senat einvernehmlich rigide. Für Marxisten war der Westberliner Boden heiß. So wäre es zu Beginn der siebziger Jahre beinahe zu einer Spaltung des OSI gekommen, weil die andere Fraktion den Marxismus nicht wollte. Ich muss auch zugeben, dass damals von der Linken auch viel Blödsinn kam. Am OSI waren wir da wahrscheinlich noch die intelligentesten und konziliantesten Leute. Wir haben immer gesagt: Was wir allenfalls erreichen können, und das ist auch gut so, ist ein Pluralismus der Wissenschaften, und da gehört eben auch der Marxismus dazu. Später kam dann noch der Feminismus.

Zum Schluss standen Sie dann einsam da. Haben Sie es verpasst, Nachwuchs heranzuziehen?

Einsam nicht, aber ich stand am Ende einer Generation. Die “marxistische Kohorte”, wie man ironisch sagen könnte, lief 30, 40 Jahre durch den Laden und suchte danach das Weite. Anders ausgedrückt: Diese, meine Generation befindet sich nun im Ruhestand. Wir verpassten es, Netzwerke zu bilden. Auf meine Stelle konnte ich keinen passenden Nachfolger bringen, das war aber auch nicht mein Stil; über die Berufungen sollen die entscheiden, die mit den neuen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten müssen. Dennoch bedaure ich, dass einige gute Leute keine Chance hatten.

Sind Sie enttäuscht von der Entwicklung des Instituts?

Ich hatte keine großen Erwartungen, insofern kann ich nicht enttäuscht sein. Aber dass vom OSI heute, in Zeiten der Finanzkrise, keine politischen Erklärungen kommen – da ist ja Schweigen im Walde. Die mangelnde Präsenz in öffentlichen Debatten ist irgendwie enttäuschend, ja beschämend. doch vielleicht ist das Ausdruck von „Exzellenz“.

Um finanzielle Krisen und Exzellenz geht es gewissermaßen auch bei „Occupy FU“. Sie kommen ja gerade von einem Teach-In mit Sahra Wagenknecht. Kann man „Occupy“ und Bildungsstreik überhaupt in einen Topf werfen?

Nur bedingt. Die Occupy-Bewegung gibt es, jedoch unter anderem Namen, schon seit etwa zehn Jahren. In Lateinamerika besetzten die sozialen Bewegungen Territorien. Indios in Bolivien etwa besetzten Minen, um sie wieder aus der Hand der Transnatioanlen Konzerne in Besitz der Gemeinschaften zu nehmen. Schon seit 2001 wurden in Argentinien Betriebe besetzt, um Arbeitsplätze zu erhalten. Diese Bewegung heute geht in eine andere Richtung, jedoch mit demselben Hintergrund; sich das, was einem weggenommen wurde, wiederzuholen. Auch die Bildungsstreik-Bewegung will sich Räume zurückerkämpfen.

Was halten Sie von der durch das FU-Präsidium durchgeführten Räumung des Seminarzentrums am 16. November?

Das war kleinkariert! Ist das etwa notwendig, um dieses unsägliche Exzellenzattribut zu behalten? In den Köpfen einiger Leute hat sich scheinbar festgesetzt, dass Exzellenz Ordnung bedeutet. Eine Störung der Ordnung kommt demnach einem hinterhältigen Anschlag auf diesen Status gleich. Auch Universitätspräsidenten sind offenbar vor Blödsinn nicht gefeit.

Ihre Biographie ist nicht nur eng mit dem OSI, sondern auch mit verschiedenen Parteien verbunden. Nach ihrer SPD-Mitgliedschaft wurden Sie Gründungsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen – wie stehen Sie zu der Entwicklung der Partei?

(lacht): Enttäuscht bin ich in dem Fall eher über mich selbst. Ich hatte die Veränderungsdynamik von Parteien nicht berücksichtigt. In allen Parteien haben die Realos das bessere Gespür dafür, was machbar ist. Damit verändern sie gesellschaftlich natürlich nichts, sie verbessern nur ihre Machtpositionen und Karrierechancen. Mein Austritt hat aber weniger damit zu tun, dass die Partei bürgerlicher wurde, damit hätte ich leben können. Ich hätte versucht, diesen Prozess von innen zu bekämpfen. Vielmehr wendete ich mich ab, weil die Partei kriegerische Aktivitäten in Jugoslawien, im Kosovo und in Afghanistan mittrug.

Jetzt sind Sie Mitglied der Linken. Wieso haben Sie nach SPD und Grünen immer noch nicht genug? Oder war die Linke einfach die letzte Alternative?

(lacht) Das ist wohl wahr. Das neue Programm jedenfalls finde ich gelungen, auch als Mitglied der Programmkommission. Ob die Linke sich nicht wie die Grünen dennoch verändern werden, dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Aber als Politikwissenschaftler weiß ich, dass Entscheidungen in einer bürgerlichen Demokratie in politischen Institutionen getroffen werden. Natürlich gehört zum System auch die sogenannte Zivilgesellschaft, deswegen engagiere ich mich beispielsweise bei attac. Man muss auf beiden Hochzeiten – Politik und Zivilgesellschaft – tanzen.

Warum stellt die Linke für die Menschen keine glaubhafte Alternative dar?

Wir leben in einem Paradox. Wir haben viele Bewegungen, die etwas ändern wollen. Wenn es an die Urnen geht, wird aber konservativ gewählt. Die Menschen suchen Sicherheit, und die Konservativen scheinen mehr Sicherheit zu bieten. Der Linken wird das nicht zugetraut.

Änderungsbedarf gibt es ja reichlich. Die Welt steckt in der Krise.

Eine Jahrhundertkrise, wenn nicht sogar die schwerste Krise der kapitalistischen Geschichte überhaupt! Sie ist nicht nur eine Krise der Finanzindustrie, sondern auch der Realwirtschaft. Auf der einen Seite wird weiter Wachstum gefordert – Stichwort Wachstumsbeschleunigung. Auf der anderen Seite stößt dieses Wachstum auf stoffliche Grenzen. Diesen Zusammenhang muss man begreifen, denn von ihm sind die Krisenlösungen abhängig.

Momentan kennen die Deutschen die Krise ja vor allem aus den Nachrichten. Wann schlägt sie bei uns ein?

Sie ist schon da, man merkt es nur nicht in aller Deutlichkeit. Deutschland ist schließlich Teil der europäischen Währungsunion, der Weltwirtschaft. Dass auch Deutschland irgendwann Probleme mit seinen Staatsanleihen bekommt, ist nicht unwahrscheinlich. Scheiden Länder aus dem Euroraum aus, hat das Auswirkungen auf die Handelsbilanz, Deutschland verliert Absatzmärkte.

Kann die Politik überhaupt noch gegensteuern? Hat sie noch das Primat über die Wirtschaft?

Die Politik muss es versuchen. Schuldner müssten entlastet werden, Gläubigerforderungen müssten beschnitten werden. Da kann man natürlich auch viel falsch machen. Momentan jedenfalls hat die Politik das Primat nicht. Die Finanzmärkte gefährden die Demokratie. In Italien wird sich wohl recht schnell herausstellen, dass eine Regierung aus Technokraten auch keine Lösung ist.

Vor und in der Eurokrise werden Banken gerettet, um das System zu stabilisieren. Gibt es Systemrelevanz? Oder ist sie eine Ideologie?

Eine Ideologie ist es nicht. Die Frage ist: Welches System ist gemeint? Für das der Investmentbanken sind gewisse Banken natürlich relevant. Hätte man es nur mit kleinen Sparkassen zu tun, die ohnehin keine Ratingagenturen brauchen, wären sie nicht systemrelevant. Das Geld, das die Investmentbanken verdienen, ist nicht Produkt wertschaffender Arbeit, das ist das Problem. Für die Realwirtschaft sind sie absolut nicht wichtig.

Es scheint Ihnen schwerzufallen, uns Kapitalismuskindern eine konkrete Alternative zum kapitalistischen System zu beschreiben.

Das ist kein Zufall. Wir brauchen eben verallgemeinerbare Utopien, über die wir diskutieren können. Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, hat keine Zukunft. Jede Wette, dass er sich in den nächsten 20 Jahren ändern wird – und zwar nicht zum Besseren. Autoritäre Lösungen sind in der Mache, der Kapitalismus könnte indes weiterbestehen. Die Frage lautet: Können wir den so gestalten, dass er einigermaßen erhaltenswert, ich will nicht sagen: erstrebenswert wird?

Francis Fukuyama rief schon vor über 20 Jahren das Ende der Geschichte aus. Der Philosoph Slavoj Žižek meint, die Mehrheit der Menschheit seien „Fukuyamaisten“ und glaubten nicht an eine Veränderung des Status quo.

Es gibt Alternativen, für die man eintreten muss. Die Occupy-Bewegung tut das, es wird nachgedacht. Wo Not ist, wir wissen es, wächst das Rettende auch. Das Ende der Geschichte ist eine düstere Ideologie. Und die Universität muss ein Raum für Kritik bleiben. Sie ist also, ob geplant oder nicht, immer auch ein Laboratorium der Alternativen. In einer Gesellschaft von „Fukuyamaisten“ mit dem berühmten TINA-Wort („there is no alternative“) in der Handtasche will ich nicht leben und Sie wahrscheinlich auch nicht.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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