Krisensitzung

Euro, Finanzmärkte, Staaten: Alles ist ins Wanken geraten. Den Überblick haben wir schon lange verloren. Warum nicht mal an unserer Uni nachfragen? Vier FU-Experten sprechen über schwierige Zeiten. Aufgezeichnet von Margarethe Gallersdörfer. Fotos von Cora-Mae Gregorschewski

Gregory Jackson.

Gregory Jackson, Professor am Institut für Management, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften:

Im Fach BWL versuchen wir, Abläufe in Unternehmen sozialwissenschaftlich zu untersuchen. Mir sind dabei ethische Fragen und Dilemmas, mit denen Manager konfrontiert sind, ein besonderes Anliegen.

Ich denke, dass ein Teil der Krise eine Krise der Unternehmenskontrolle und der sozialen Verantwortung von Unternehmen ist. Die Beteiligung von hohen Angestellten durch Aktienoptionen, Boni und Prämien, sollte im Rahmen des Shareholder-Value- Ansatzes eigentlich dazu führen, dass Manager an den Risiken, den Gewinnen und Verlusten eines Unternehmens beteiligt sind. Man hoffte, dass sie dadurch sorgfältigere Entscheidungen treffen. Tatsächlich hat das zu einer exzessiven Risikofreudigkeit und kurzfristigen Orientierung geführt – bei Banken, aber auch bei anderen Unternehmen. Es gab sehr große Anreize nach oben hin, doch an den Verlusten wurden die Vorstände nicht beteiligt. Es ist erstaunlich, wie wenig in diesem Bereich gesetzlich neu reguliert worden ist, obwohl der Finanzsektor von der Politik so stark gestützt werden musste.

Auch für uns Wissenschaftler muss die Krise ein Anlass sein, unsere Ansätze und Theorien zu überdenken und nicht nur zu sagen, dass die Manager diese Theorien in der Praxis falsch angewendet haben. Bei meinen Studierenden beobachte ich seit einigen Jahren ein wachsendes Empfinden für soziale Verantwortung. Ich würde ihnen gerne mitgeben, dass Unternehmensführung heißt, Produkte und Dienstleistungen zu erwirtschaften, die auch dem sozialen und ökologischen Fortschritt dienen.

Peter Walschburger, Leiter des Arbeitbereichs Biopsychologie am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie:

Ich bin seit Jahrzehnten beruflich und privat häufig in Griechenland und habe die Mentalität über die Jahre ziemlich gut kennengelernt. Die Bestimmung von Völkermentalitäten ist natürlich ein kritisches Thema, mit den Ergebnissen sollte man vorsichtig umgehen. Aber ich denke schon, dass da ganz klare Unterschiede bestehen zu der Mentalität in eher nördlichen Ländern. Die immense Großzügigkeit beispielweise, die ja eine liebenswerte Eigenschaft ist, führt meiner Ansicht nach dazu, dass Länder wie Griechenland mit Dingen wie Haushaltsdisziplin größere Schwierigkeiten haben als andere. Ich habe den Eindruck, dass diese Griechenland-Krise falsch angepackt wird. Es funktioniert nicht, wenn man nur hingeht und denen sagt, ihr müsst sparen, ihr müsst die Steuern erhöhen, ihr müsst dieses und jenes. Wenn ich dort bin, habe ich den Eindruck, dass sich große Resignation breitgemacht hat; vor allem auch unter den jungen Menschen, den Studierenden. Das sind gut ausgebildete, engagierte Menschen, die keine Chance sehen, in ihrer Heimat ihr Leben zu entfalten. Ich denke, man müsste jetzt hingehen und gezielt einzelne, erfolgversprechende Projekte fördern und sie zugleich als Vorbilder herausstellen. Von denen gibt es eine ganze Menge, etwa im Bereich der Solarenergie oder der Agrarwirtschaft. Die Medien sollten gezielt und empathisch über solche Erfolgsmodelle berichten, um die Anregungen und Vorbildwirkungen möglichst weit und positiv zu kommunizieren und kreative Nachahmer zu ermutigen. Rigorose Spardiktate allein schränken Verhalten ein, lähmen, entmutigen. Es braucht positive Vorbilder und Ziele, um Wachstum zu fördern.

Sabine von Oppeln, Stellvertretende Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft:

Die Verschuldungskrise in der Eurozone offenbart ein Strukturproblem der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion: Man hat Länder mit unterschiedlichem Produktivitätsniveau in einen Währungsraum eingebunden. Vor der Währungsunion konnten Länder wie Griechenland ihre Währung abwerten, ihre Produkte dadurch billiger verkaufen und den Unterschied so abfedern. Der Euro hat diese wirtschaftlichen Unterschiede letztendlich verschärft, weil es keine gemeinsame Politik gibt, um sie intern auszugleichen. Ich halte es für falsch, wie die Kanzlerin zu sagen: „Wenn der Euro fällt, fällt Europa.“ Das europäische Projekt besteht aus mehr als nur einer gemeinsamen Währung. Wenn man

jedoch die Eurozone erhalten, aber nicht immer wieder neue Rettungsschirme aufspannen will, dann braucht man im wirtschaftlichen und finanzpolitischen Bereich eine engere Steuerung. Es gibt eine Skala zwischen zwei Extremen: Das eine Extrem ist der Austritt oder zumindest vorübergehende Austritt der schwachen Länder aus der Eurozone. Das andere Extrem ist die Bildung einer europäischen Föderation mit einer richtigen, demokratisch legitimierten Regierung, die Druck auf ihre Mitglieder ausüben und die Union wirtschaftspolitisch steuern könnte. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es jetzt unterschiedliche Stufen der politischen Steuerung innerhalb des europäischen Mehrebenensystems und im wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich. Man kann gespannt sein, auf was sich die Länder mit ihren unterschiedlichen, teils widerstrebenden Interessen und europapolitischen Leitbildern einigen werden.

Irwin Collier, Institutsratsvorsitzender am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, Abteilung Wirtschaft:

Die einzige Verteidigung, die ich für die Ehre der Ökonomen vorbringen kann, ist die: Die Probleme sind verdammt schwer. Unsere Realität, die wir versuchen zu verstehen, ändert sich schneller als unsere Kapazität, das nachzuvollziehen. Das heißt: Man braucht eine bestimmte Bescheidenheit. Aber man wird nie Professor werden, wenn man total bescheiden ist. Es gab Ökonomen, die gewarnt haben. Aber ich schätze, es ist einfach bequemer, das zu glauben, was den eigenen Interessen dient. Auf dem Gebiet der Finanzen könnte man sagen, dass die efficient market hypothesis, in Verbindung mit Chicago Style-Makroökonomie, das Gebiet beherrscht haben. Also das, was allgemein als „neoliberal“ beschimpft wird. Ich würde es lieber newclassical nennen, aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Tradition heraus, die an die Fähigkeit der Märkte glaubt, sich selbst zu regulieren und Machtmissbrauch durch Wettbewerb zu verhindern. Immer dieses ständige „Der Staat kann gar nichts, wenn er etwas tut, dann ist es falsch“ – das war sehr dominant. Kurzzeitig hatten die Ökonomen tatsächlich vergessen, wie man mit den Folgen einer Finanzkrise, einer Depression, umgehen kann. Es war 2008 reiner Zufall für die USA, dass der Notenbankchef Ben Bernanke seine wissenschaftlichen Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte als Student zum Thema „Große Depression“ geschrieben hat, genauso wie Obamas Wirtschaftsberaterin Christina Romer. Dass die USA keine „Große Depression 2.0“ erlitten haben, hat eigentlich damit zu tun, dass die Ökonomen, die die Macht hatten, in ihrer Promotionszeit zu diesem Thema geforscht haben. Ich weiß nicht, ob die Europäer so viel Glück haben mit der EZB. Die Politik, für Preisstabilität und gegen Inflation zu kämpfen, ist für normale Zeiten bestimmt sehr vernünftig, aber gerade in einer Krisenzeit muss man die Fähigkeit haben, „out of the box“ zu denken. Das würde ich in dieser turbulenten Zeit auch Ihrer Generation raten: immer einen Plan B zu haben.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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