Tränengas über Athen

Griechenlands Schuldenkrise ist allgegenwärtig. Es scheint, als versinke das Land im Chaos. Die Erasmusstudentin Laila Abdul-Rahman berichtet von ihren Eindrücken aus der Hauptstadt.

Athen. Foto: Laila Abdul-Rahman

Seit einiger Zeit sieht sich das griechische Volk mit immer umfangreicheren Sparmaßnahmen konfrontiert. Zuletzt wurde das vierte Sparpaket seit Beginn der Krise beschlossen. Es sieht massenhafte Entlassungen im öffentlichen Dienst, die Senkung des Steuerfreibetrages und andere massive Einschnitte für die Bürger vor. Über einen erneuten „Solidaritätszuschlag“ etwa muss jeder Grieche zusätzlich zur Einkommenssteuer ein bis vier Prozent von seinem Gehalt abführen. Eine Mehrwertsteuer von 13 Prozent hebt das Niveau der Lebensmittelpreise zudem über das der Bundesrepublik. Das täglich’ Brot kommt die Menschen teuer zu stehen. Erneut empört sich Griechenland.

Es ist der 20. Oktober 2011. Ein 48-stündiger Generalstreik als Protest gegen die von der EU auferlegten Sparmaßnahmen beginnt. Das griechische Parlament soll die Kürzungen am nächsten Tag beschließen. Die Sonne strahlt über der Akropolis. Zehntausende Menschen haben sich vor dem Parlamentsgebäude auf dem Syntagma- Platz versammelt – mitten unter ihnen ich. Die Lage ist ruhig, doch die Anspannung ist greifbar.

Der Platz ist ein Meer aus Plakaten und Transparenten, es sind unzählige politische Gruppierungen vertreten. Immer wieder werden Sprechchöre laut. Sie fordern zum Zusammenhalt auf: gegen die Sparmaßnahmen, gegen die Regierung. Einer der Slogans ist besonders oft zu sehen: „Wir zahlen nicht für eure Krise.“ Fast alle Demonstranten tragen Atemschutzmasken, einige sogar Schwimm- oder Skibrillen. Das sei notwendig gegen das Tränengas, erklärt mir eine griechische Freundin. Ich bin skeptisch, lasse mich aber überreden, mir eine Maske zu kaufen. Direkt vor dem Parlament stehen die Leute dicht gedrängt. Die Stimmung der Menschen ist hier aggressiver. Einige sprechen davon, das Parlament stürmen zu wollen. Zwischen einem Großaufgebot der Polizei und den Demonstranten liegen nur wenige Meter.

Dann fliegen dort die ersten Molotow- Cocktails. Aus sicherer Entfernung sehe ich die Rauchwolken aufsteigen. Weiter hinten ist es dagegen verhältnismäßig ruhig, die Menschen sitzen auf der Wiese des Platzes, Straßenverkäufer bieten Essen und Getränke an. Alle Generationen sind vertreten – nicht nur junge Krawallmacher, wie die Medien suggerieren.

Plötzlich kommt Bewegung in die Menge. Tränengas kommt massiv zum Einsatz und hängt wie eine Wolke über dem Platz. Alles rennt in die umliegenden Straßen, die Polizei stürmt über den Platz. Was genau passiert, ist schwer auszumachen. Nach ein paar Minuten hat sich die Lage auf einmal wieder beruhigt. Die meisten kehren zurück auf den Platz oder demonstrieren in den Nebenstraßen. Nach Hause gehen will niemand. Die Menschen wollen ihrer Not Ausdruck verleihen. Sie wollen sich weder von Randalierern noch von Tränengas einschüchtern lassen. Der ruhige Schein trügt: Direkt neben uns beginnen zwei Männer, Türen und Fenster eines Ladens zu demolieren. Die Umstehenden versuchen, sie davon abzuhalten. Statt nur gegen diese Männer vorzugehen, setzt die Polizei wieder ohne Vorwarnung großflächig Tränengas ein. Entsetzt über dieses harte Eingreifen rennen wir fort. Unsere Augen brennen und das Atmen fällt trotz Maske schwer. Alles gerät aus den Fugen, die Lage eskaliert: Wir sehen brennende Mülltonnen und Vermummte, die sich Kämpfe mit der Polizei liefern. Als friedfertiger Demonstrant sollte man spätestens jetzt den Syntagma-Platz schleunigst verlassen. Das tun wir auch, erschöpft und schockiert von dem Erlebten.

Als ich mich damals für einen Erasmus- Aufenthalt bewarb, spielte die Finanzkrise für meine Entscheidung keine Rolle. Nun, da ich hier bin, versuche ich, so viel wie möglich mit den Griechen selbst über die Situation zu sprechen. Der Großteil meiner Gesprächspartner, zumeist Studenten, sind mit der Politik ihres Landes und auch der EU nicht einverstanden. Sie fühlen sich übergangen, von ihrer eigenen Regierung betrogen. Ihr Heimatland bietet ihnen keine Perspektive. Jeder dritte Hochschulabsolvent ist arbeitslos, gut die Hälfte aller Promovierten wandert ins Ausland ab. Unklar ist, wie viel der Staat dem Bürger auf Dauer zumuten kann. Vor allem, da fest steht, dass die Sparmaßnahmen allein das Land nicht retten.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. 18. Juni 2012

    […] Trä­nen­gas über Athen — eine Erasmus-Studentin über ihre Ein­drü­cke aus einer Stadt in A… […]

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