Wahlkampf in zwei Akten

Eine weitere Amtszeit für die „Poor Kennedys“: Mit „Ugly People“ zeigte das Theaterensemble des JFK eine beißende Satire auf den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Christopher Hirsch war als Wahlbeobachter vor Ort.

Die JFK-Theatergruppe “Poor Kennedys” auf den Brettern, die die Welt bedeuten. (Fotos: Cora-Mae Gregorschewski)

Präsidentschaftsanwärter, die Pokemon zitieren, Staatsoberhäupter, die als Nazis, Kommunisten und Kapitalisten gleichzeitig beschimpft werden und ihre Herkunft anhand von König der Löwen nachweisen – kann man das, was sich während des Wahlkampfs in den USA abspielt als Grundlage für eine Satire nutzen oder ist es an sich schon Satire genug? Kann man den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf noch dramatisieren und überspitzen?

Man kann. Das zeigte das Theaterensemble der „Poor Kennedys“ vom John-F.-Kennedy-Insitut für Nordamerikastudien (JFK) am 11. und 12. Juli mit dem Stück „Ugly People“ – frei nach dem Sprichwort „Politics is just show business for ugly people“. Die Einsichten in den amerikanischen Politzirkus waren in der Tat hässlich. Ugly People jedoch suchte man vergebens. Kein Wunder, handelte es sich bei den Mitwirkenden doch ausschließlich um FU-Studenten. In nur zweieinhalb Monaten wurde gecastet, gekürzt, geprobt und gefilmt. „Es war eigentlich nicht machbar“, konstatiert Projektleiterin Nadia Nejjar, „aber wir fanden das Projekt so toll und haben alle an einem Strang gezogen.“

Das Projekt meint hier vor allem das zu Grunde liegende Stück von James Venhaus, der den “Poor Kennedys” das Werk ohne Bezahlung zur Verfügung stellte. Der Autor zeigt dem Publikum, was es auch in den Nachrichten sehen könnte – nur überspitzter und mit Einblicken hinter die Fassade. Regisseurin Camille Barrera hat das Stück dann für die “Poor Kennedys” dramaturgisch aufbereitet.

Castingschlacht ums Weiße Haus

Die Versuchsanordnung: der eher einfach gestrickte Rob Maxwell ist seines Jobs in der Gastronomiebranche überdrüssig und wird auf seiner Suche nach dem Rampenlicht von bis dato erfolglosen Medienberatern zum Präsidentschaftskandidaten gecastet. Auf der anderen Seite kündigt der idealistische Gutmensch Scott Middleton, dessen Name allein Wahlwerbung genug ist, im Rahmen eines Dinners mit seinen prätentiösen Middleclass-Freunden an, für ein lokalpolitisches Amt kandidieren zu wollen. Kurze Zeit später findet er sich und seine philanthropischen Ideale ebenfalls in den Fängen des politischen Marketings und auf dem Weg zum Präsidentschaftsamt wieder.

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Was folgt, ist eine rasante Abfolge von Episoden, die die Auswüchse eines modernen amerikanischen Wahlkampfes darstellen. Trends wie Mediatisierung, Personifizierung und Boulevardisierung werden aufgegriffen. Mal finanziert ein Kandidat seinen Wahlkampf, indem er allen Interessengruppen von „Atheist United“ bis „Rodeo Clowns For Jesus“ seine Unterstützung zusagt. Oder einer Politikergattin wird anstatt eines politischen Interviews ein Modegespräch aufgezwungen. Die Szenen rufen Unrechtsbewusstsein hervor – und fast immer auch Szenenapplaus.

Wenig Inhalt, viel Show

Der Text macht deutlich, wie schmal der Grat zwischen Schauspielerei und Politik ist. Auf und jenseits der Bühne gilt frei nach McLuhan: „The medium is the message“. Und das Medium ist in diesem Fall politische Rhetorik: Phrasen, Possen, pathetische Schlüsselwörter – wenig Substanz. Inhalte und Entscheidungen treten zunehmend als etwas Abstraktes in den Hintergrund. „In the white house I will have to do stuff“, bemerkt Rob folgerichtig. Selbst gesellschaftliche Grundwerte wie Ehrlichkeit werden im Zuge politischen Marketings zur Posse, wenn Robs Berater deklarieren: „People love ‘sincere’”.

Das Stück nimmt im Laufe der Handlung an Fahrt auf, bis sich die beiden politischen Kontrahenten als Teilnehmer in einem Spiel wiederfinden, dessen Regeln von Technokraten, Medienberatern und ehrgeizigen Ehefrauen bestimmt werden – nur nicht von ihnen selbst. Kurz scheint es so, als würden sich Mitglieder beider Lager gegen die Grausamkeit des Mechanismus verbrüdern. Doch dazu kommt es nicht, unter anderem auch, weil bald nicht mehr ersichtlich ist, was fake und was echt ist. Dieses Stück ist nicht subtil, es ist schnell, kraftvoll und hat eine klare Stoßrichtung.

Schillernde Charaktere auf der (Polit-)Bühne

Dazu tragen auch die Charaktere bei. Da ist zum einen Scott Middleton, dessen Idealismus und wachsende innerliche Konflikte Bruno Jahn äußerst lebendig verkörpert. Er hält im Restaurant leidenschaftliche Reden über den Nutzen öffentlicher Bibliotheken und ist so ein Gutmensch, dass er aus purer Nettigkeit und Mitleid mit seiner Praktikantin schläft. Dies geschieht in einer schreiend komischen Szene, in der beide erst einmal die Affäre im Konjunktiv durchexerzieren.

Anschließend bietet er seiner Ehefrau den politischen Rücktritt an, um zu beweisen wie hoch seine Ideale sind. Diese jedoch, in ihrer Scheinheiligkeit und Affektiertheit schauderlich gut von May Blank gespielt, hat hinter ihrer Fassade aus Perlenkette, mütterlichen Pflichtbewusstseins und ehelicher Unterstützung vor allem Geld und Prestige im Sinn und hetzt ihren Mann weiter Richtung Weißes Haus.

Auf der anderen Seite stehen Rob und Chelsea Maxwell. Letztere von Nadia Nejjar gut gespielt, wenn auch rollenbedingt etwas seicht, und ihr Mann, dessen Darstellung durch Jay Pocklington vor allem zum Ende hin lebhafter und überzeugend wird. Er gerät durch den Ehrgeiz Ehefrau, einem Ex-Model, an die frustrierten Medienberater Phil und Howard. Deren trockener Zynismus – regelmäßig in ebenso trockenen Martinis ertränkt – ist vor allem dem Briten Robin Browning zu verdanken, der Howard spielt.

Große Leistung in kurzer Zeit

Sein Kollege, dargestellt von Niklas Walendy, kompensiert den Nachteil, nicht englischer Muttersprachler zu sein, durch Lautsärke und Vulgarität. Zusammen wirken die beiden noch am menschlichsten von allen Charkateren, auch wenn sie das unmoralische System kräftig antreiben. Ihre Kontrahenten, die Berater Susan und Eddie, gespielt von Laura Gertken und Paulo Schulz, brillieren vor allem in ihrer Dynamik als besserwisserisches Bürokratenteam – betont durch Eddies geschmacklose Krawatte.

Dass dieser Ritt durch den politischen Wilden Westen mitunter etwas holprig ist – nicht zuletzt wegen der Aufführung in englischer Sprache – macht überhaupt nichts. „Wir wussten, dass es nicht perfekt werden kann“, meint Nadia Nejjar, „normalerweise bräuchte man für sein Projekt ein Jahr“. Diesmal ging es jedoch nicht um das feingliederige Nachzeichnen von Charakteren, sondern um das Erleben eines ganz und gar nicht feingliederigen Systems mit Rissen und Schönheitsfehlern.

Das JFK bittet zur Wahl

Es ist erschreckend, wie nahe eine Theateraufführung einer echten politischen Veranstaltung kommt. Sätze wie „I don’t want to know how Washington works because I work for you“ sagen in der realen Politik genauso wenig aus wie im Theater. Das Publikum sah die Plakate, ging hin, stellte politische Fragen an die Akteure und durfte zum Schluss einen der Kandidaten wählen. So hatte die Theateraufführung auch etwas von einer Performance, die die Frage nach dem Unterschied zwischen Theater und Politik stellt. Gibt es noch einen?

Bei der Derniere jedenfalls hat der Gutmensch Scott gewonnen, bei der Premiere Rob. Auch hier ist die Veranstaltung sehr authentisch, da man sich laut Nadia nicht sicher sei, ob die Stimmenzählung in so kurzer Zeit immer korrekt ablaufe. Wer in diesem Herbst auf der großen Bühne jenseits des Atlantik gewinnt, wollte Nadia nicht prognostizieren – fest steht aber: Die Poor Kennedys arbeiten weiter. Vielleicht gibt es dann auch wieder ein eigenes Stück. Wir freuen uns auf die nächste Amtszeit!

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Regie und Leitung: Camille Barrera, Nadia Nejjar

Darsteller: Andrea Wieczorek, Aqib Ali, Bruno Jahn, Jay Pocklington, Laura Gertken, Laura Torrico, Lea Geraedts, Lisa Stelley, May Blank, Nadia Nejjar, Niklas Walendy, Paulo Schulz, Robin Browning, Verena Berger

Kostüm: Laura Torrico

Crew: Andrea Wieczorek, Jakob Kienzerle

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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