Schmökerzeit Teil II — Roadtrip auf Schwedisch

Wer in diesem Jahr eine Buchhandlung betreten hat, konnte sich dem blau-braunen Cover mit dem Elefanten praktisch nicht entziehen. Ob der Hype um den schwedischen Roman über einen alten, reiselustigen Mann gerechtfertigt ist, hat Veronika Völlinger getestet.

Etwas sperrig ist der Titel, den der Autor Jonas Jonasson für seinen Debütroman wählte: „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“. Doch weil fast alles aus dem hippen Schweden hier sofort reißenden Absatz findet, landete der Roman in Rekordzeit auf den Bestsellerlisten und hielt sich dort hartnäckig. Zu Recht!

Eigentlich verrät der Titel schon alles über die Handlung: Allan Karlsson, ein schwedischer Rentner im hohen Alter von 100 Jahren, wohnhaft im Altersheim in Malmköping, hat keine Lust auf den ganzen Trubel um sein rundes Jubiläum. Noch in Pantoffeln steigt er frühmorgens kurzerhand aus dem Fenster und begibt sich auf eine kleine Reise. Diesseits und jenseits der Gesetzestreue erlebt er dabei so einiges und sorgt dafür, dass bald das halbe Land hinter ihm her ist.

Der Roman ist wie ein Roadmovie – nur auf Papier. Er lebt von den kleinen Geschichten, die unterwegs passieren, und von den Menschen, die zufällig zusammentreffen. Meist sind es gescheiterte Persönlichkeiten, die trotzdem irgendwie liebenswürdig sind: ein angegrauter Gelegenheitsdieb, der sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt, ein Imbissbudenbesitzer, der fast alles studiert hat, aber aus Prüfungsangst nie abschließen konnte; oder eine Frau, die einen Elefanten versteckt.

Noch spannender als die Flucht durch ganz Schweden, bei der sich von den oben genannten Gestalten immer mehr anschließen, ist der zweite Handlungsstrang: die Lebensgeschichte von Allan Karlsson. Und bei 100 Jahren kommt da einiges zusammen.

In detailreich konstruierten Anekdoten erfährt der Leser, dass Allan so ziemlich die ganze Welt bereist hat – Amerika, Russland, Spanien, Indonesien, Iran und noch viele Länder mehr. Doch war er nie nur einfach dort: Seinem immer wieder beteuerten Desinteresse an Politik zum Trotz gerät er, wo er auch hinkommt, zwischen die Fronten. Mal trifft er Staatsmänner wie Churchill, Stalin oder Truman, mal ändert Allan kleine Details im Verlauf des Weltgeschehens. Eine Gemeinsamkeit aber haben all seine Erlebnisse: Ob im spanischen Bürgerkrieg oder im sibirischen Gulag – irgendwie schafft es Allan immer wieder lebend heraus.

Der Roman ist vor allem eins: witzig. Situationskomik und Sarkasmus reichen sich die Hand und werden nur noch dadurch übertroffen, dass Autor Jonas Jonasson es immer wieder schafft, mit neuen absurden Wendungen in der Handlung zu überraschen. Ganz nebenbei frischt das Werk zudem die Geschichtskenntnisse des 20. Jahrhunderts auf; man sollte es bloß nicht immer zu ernst nehmen. Dafür spendet das Lebensmotto des 100-jährigen Allan Karlsson vielleicht so manch einem Klausur geschundenen Studierenden ein wenig Trost: Es ist wie es ist und es kommt wie es kommt.

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster sprang und verschwand
Autor: Jonas Jonasson
Verlag: carl’s books
Preis: 14,99 Euro

Alle weiteren Teile der Literaturserie „Schmökerzeit“ gibt es hier.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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