Schmökerzeit Teil V — Rollstuhl-Terroristen haben es auf die USA abgesehen

Der 1996 erschienener Roman „Unendlicher Spaß“ bestimmte dieses Jahr die Berliner Theaterszene. Ein Ansporn, sich an das literarische Werk zu setzen. Ein Großprojekt. Lisa Ebinghaus hat es getan.

Unendlicher SpaßAllein die Biographie des Autors ist ein Anreiz, den Mammut-Roman „Unendlicher Spaß“ mit seinen 1545 Seiten und 388 Fußnoten zu lesen. Der Lebenslauf von David Foster Wallace ist beeindruckend:

Nach dem Studium der Logik, Mathematik, Philosophie und Literatur sowie einer Karriere als Tennisprofi erschien 1996 sein Debütroman „Unendlicher Spaß“. Mehrere Werke später und nach einer Professur für englische Literatur und Creative Writing nahm er sich in Folge schwerer Depressionen 2008 im Alter von 46 Jahren das Leben.

Der Roman „Unendlicher Spaß“, der 1996 auf Englisch und 2009 im Deutschen erschienen ist, zeichnet ein dunkles Bild der Gesellschaft in naher Zukunft. In dieser haben die USA, Mexiko und Kanada sich zu einem Staatenbund zusammengeschlossen. Die USA haben dabei einen nördlichen Landstrich an Kanada abgetreten unter der Prämisse, ihren Giftmüll in dieser Gegend lagern zu dürfen.

In Folge der starken Umweltverschmutzung durch die Amerikaner kommen im angrenzenden Quebec schwer missgebildete Kinder zur Welt. Eine Terroristengruppe, bestehend aus Quebecer Rollstuhlfahrern, will deswegen die Bevölkerung der USA auslöschen, indem sie den Film „Unendlicher Spaß“ in das öffentliche Fernsehen einspeist.

Dieser Film ist so unterhaltsam, dass jeder, der ihn sich ansieht, nichts anderes mehr wahrnehmen kann. Die Zuschauer werden von dem Streifen so gebannt, dass sie all ihre menschlichen Bedürfnisse vergessen und vor dem Fernseher verhungern, verdursten und in den eigenen Exkrementen verenden.

Durch diesen Film werden die zwei Schauplätze der Handlung verbunden: Eine Tennisakademie und eine Entzugsklinik. An diesen Orten leben Menschen, die auf irgendeine Art und Weise mit „Unendlicher Spaß“ in Verbindung stehen und dadurch für die nach diesem Film suchenden Rollstuhl-Terroristen von Interesse sind.

Die Enfield Tennis Academy für junge Tennistalente, gegründet von dem Regisseur, der den Film „Unendlicher Spaß“ produziert hat, ist ein Hort für junge Menschen unter Leistungsdruck, die jede Menge Drogen nehmen. Der zweite Hauptstrang spielt in der Entzugsklinik Ennet House, in der sich am Leben Gescheiterte in Verzicht und Ausgeglichenheit üben. Rund 100 Figuren treten an den Orten auf; alle kämpfen sich auf ihre Weise durch ein Leben, das nicht eben von unendlichem Spaß geprägt ist. Ihren Geschichten widmet der Autor den größten Teil des Romans.

Wallace‘ Werk ist voller Wahrheiten, Betrachtungen des Lebens, in denen man sich wiederfinden kann. Humorvoll wird Erschreckendes, Abstoßendes, Tragisches dargestellt. Wallace zeigt die Abgründe einer Gesellschaft auf, die sich ein angenehmes, konsum- und spaßorientiertes Leben eingerichtet hat. Das Lesen des Romans hingegen ist nicht besonders bequem. Der Leser wird konfrontiert mit dem Bild einer Gesellschaft, deren Eigenarten den unseren oft nicht fern sind.

Auch das ständige Blättern auf der Suche nach kleinstgedruckten Fußnoten, die sich teilweise über 20 Seiten erstrecken, entspricht nicht unbedingt dem, was man sich unter einem entspannenden Lesevergnügen vorstellt. Für Leser aber, die fürchten, ihr Hirn könnte in den Ferien am Strand vertrocknen, ist der Roman damit ideal. Nicht nur Drogen, Leistungssport und Leistungsdruck, Versagen und Versagensangst sind Thema, sondern auch Gewalt, Terrorismus, Pharmazeutik, Filmwissenschaft und Mathematik.

Diese unglaubliche Themenvielfalt macht den Roman zu einer Leseerfahrung, die Ihresgleichen sucht. Besonders durch die Sprache und die Beobachtungsgabe des Autors wird „Unendlicher Spaß“ zu einem zeitgenössischen Werk von großer Bedeutung. Dramatisches beschreibt Wallace mit einem Augenzwinkern. In jeder lustigen Geschichte steckt eine tiefe Traurigkeit. Die Figuren sind bis ins Feinste charakterisiert und voneinander abgegrenzt, ihr Wortschatz und ihre Dialekte entsprechen ihren jeweiligen geistigen Horizonten. Alles was sie sind, spiegelt sich in ihrer Sprache. Bezeichnend für die sprachliche und inhaltliche Komplexität ist, dass der Übersetzer Ulrich Blumenbach sechs Jahre dafür gebraucht hat, den Roman ins Deutsche zu übertragen.

Auch der Theaterintendant Matthias Lilienthal hat das Werk für sich und seinen Abschied vom „Hebbel-am-Ufer“ in Kreuzberg entdeckt. Mit einer beeindruckenden Aufführung, die 24 Stunden dauerte, und an verschiedenen Stellen in Berlin spielte, setzte er das Werk künstlerisch um und erregte auch weit über die Theaterszene hinaus großes Aufsehen mit dem Projekt.

Wer auch davon gehört hat, genug Ehrgeiz für die geistige Herausforderung und genug Geduld für vieles Blättern aufbringen kann, wird am Ende sehen: Es lohnt sich.

Unendlicher Spaß
Autor: David Foster Wallace
Verlag: rororo
Preis: 17,99 Euro

Alle weiteren Teile der Literaturserie „Schmökerzeit“ gibt es hier.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.