Erasmus? — Nicht systemrelevant!

Dem Erasmus-Programm geht das Geld aus. Mittelfristig könnte es sogar vor dem Aus stehen. Vor dem Hintergrund der Schuldenkrise ist das ein bildungspolitischer Offenbarungseid. Matthias Bolsinger kommentiert.

Europa steht vor der Zerreißprobe. Die Schuldenkrise stellt nicht nur die globale und die europäische Finanzordnung in Frage, sondern auch die Idee Europa selbst. Das Erasmus-Programm, das in diesem Jahr sein 25. Jubiläum feiert, ist stets ein Zeichen für den „Willen zu Europa“ gewesen. Mehr als 200.000 Studierende und Lehrkräfte an Hochschulen werden jedes Jahr in einem je anderen Land der Europäischen Union gefördert und studieren oder lehren an fremden Universitäten, lernen Sprachen oder sammeln Credit Points.

Dadurch sollte nicht nur die Bildung der Studierenden bereichert werden. Nicht zuletzt war es die Absicht der Europäischen Kommission, jungen Leuten ein europäisches Bürgerbewusstsein einzuimpfen. Mehr als 450 Millionen Euro ließ sich die Staatengemeinschaft ihr Verständigungsprogramm jährlich kosten. Doch auf der Spesenrechnung ist kein Platz mehr, das Geld ist alle.

Ein Nachtragshaushalt soll nun dafür sorgen, dass Erasmus doch noch seinen finanziellen Versprechungen nachkommt. Dieser Haushalt ist zwar noch nicht verabschiedet, gilt aber als Formsache. Studierende, die derzeit am Erasmus-Programm teilnehmen, brauchen sich also wohl keine Sorgen um die monatliche Unterstützung zu machen.

Doch die Geldnot des akademischen Austausch-Programms deutet auf zwei grundlegende Probleme hin, denn eines ist klar: Wird der Gürtel enger geschnallt, zeigt sich, wo die Prioritäten liegen. So verweist der finanzielle Engpass bei Erasmus erstens darauf, dass die Vermittlung eines europäischen Bewusstseins offensichtlich keine primäre Bedeutung besitzt. Zweitens, noch gravierender, offenbart sich das Verhältnis der Europäischen Union zur Bildung.

Der Etat für das Erasmus-Programm ist der blanke Hohn im Vergleich zu jeder Milliarden-Tranche, mit der über Länder wie Griechenland jammernde Banken stabilisiert werden. Bildung ist Europa anscheinend nicht so viel wert, wie es so oft behauptet. Welch Ironie, dass ausgerechnet der Sozialfond, mit dem beispielsweise entlassene Arbeiter unterstützt werden, ebenfalls über kein Geld mehr verfügt. Das bürokratische Monstrum Europa kann oder will sich solch „dekadente“ Spesen offenbar nicht mehr leisten.

Noch ist das Erasmus-Programm nicht akut in Gefahr. Doch zeigt sich ein zwiespältiges Verhältnis der Europäischen Union zur Bildung. Die rangiert auf dem finanziellen Verschiebebahnhof. Von wegen „internationaler Bildungswettbewerb“ – klagen die Finanzmärkte, sind Studium und transnationale Verständigung nicht systemrelevant.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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