Der Himmel für Sünder

Das Leben kann so einfach sein. Man muss nur mit offenen Augen und Händen über den Campus spazieren, ordentlich dreist sein und sich am Gratis-Angebot bereichern. Fabian Hinsenkamp macht′s vor.

Illustration: Cora-Mae Gregorschewski

Nach einem Jahr Uni kann ich mehr oder weniger stolz behaupten: Ich weiß nun, wie der Hase läuft! Damit meine ich natürlich nicht, wie man richtig für Klausuren lernt oder Quellen korrekt angibt. Nein – ich glaube, die Spielregeln der himmlischen Gefüge zwischen Mensa und Hörsaal verstanden zu haben!

Diese sind ein Paradies für Dreiste wie mich: Mit ausgestreckten Händen immer auf der Suche nach dem unverhofften Gratis-Kick. Die Uni ist quasi mein Garten Eden – ein endloser Wald aus brechend vollen Bäumen, deren Früchte nur darauf warten, gepflückt zu werden.

Es beginnt bei den netten Herren von den Unternehmensberatungen, die man im Wirtschaftsfachbereich vorfindet. Hier lässt sich mein Durst vorzüglich stillen. Ich genehmige mir die einen oder andere Capri-Sonne und paar Tütchen Gummibärchen für später.

Nehmen ist seliger als Geben

Davon profitieren übrigens alle Marktteilnehmer: Mein Durst ist gestillt, die beiden Herren sind um einen ausgefüllten Zettel reicher und Adam Smith ist jetzt Mitglied im Karrierenetzwerk. Himmlische Zustände!

Zwar ist extra süßes Fruchtsaftgetränk und Gummibärchen eine für mich nicht ganz altersgerechte Kombination. Aber na gut, wahrscheinlich sind sie das einzig sinnvolle Lockmittel für die – G8 sei Dank – immer jüngeren Studenten.

Weiter zu etwas wahrhaft Nahrhaftem und auf in die Mensa! Denn auch beim Mittagessen ergibt sich die Möglichkeit, von den verbotenen Früchten zu kosten.

Zwei Schnitzel verberge ich unter einem Berg aus Nudeln. Die würde das Mensapersonal nur unter Zuhilfenahme von Stangen finden, wie sie von der Polizei bei der Vermisstensuche in Waldstücken eingesetzt werden. Außerdem habe ich die Kassiererinnen durch meinen babylonischen Salatturm so abgelenkt, dass sie den Nudeln keinerlei Beachtung schenken.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Um meinen Müdigkeitsanfall am Nachmittag zu bekämpfen, steuere ich zielsicher einen der Zeitungsstände an. Dort kann ich mich gleich doppelt freuen: Über den Genuss einer kühlen Mate und über die Möglichkeit, dem Studentenwerk mit seinen überteuerten Preisen eins auszuwischen. Schon habe ich den vollen Namen des Uni-Präsidenten im Kopf und trage ihn routiniert in das Bestellformular ein. Wer würde sich nicht freuen, zwei Wochen ein Qualitätsmedium frei Haus zu erhalten!

Doch dann trifft mich der Schlag – es gibt keine Mate mehr! Dabei hatten die Zeitungsverkäufer es doch geschafft, mich zu konditionieren wie einen Pawlowschen Hund: Sobald ich sie erblickt habe, bin ich in Erwartung der Mate sabbernd auf sie zu gehechelt. Jetzt haben sie nur noch doofe Toblerone-Schokolade! Die mochte ich noch nie, bleibt endlos in, auf, zwischen den Zähnen kleben und erinnert mich so fortwährend an meine dreiste Schokoladen-Erschleicherei.

In meiner Enttäuschung kommt mir ein grauenvoller Gedanke in den Sinn: Sollten all die stets gebenden Gratis-Verteiler meine Taktik durchschaut haben? Oder gibt es am Ende gar noch mehr Dreiste wie mich? So jäh endet für uns Sünder der Himmel auf Erden.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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