Wackel-Penisse zur Weihnachtszeit

Fünf-Meter-Tannen, Sonnenschein und Glühwein: Carolin Benack erklärt, wie sie auf der anderen Seite der Welt ihren Hass auf Weihnachten verlor.

Illustration: Cora-Mae Gregorschewski

Der erste Advent naht, pünktlich und fröhlich sprießen sie aus dem Boden: die Weihnachtsmärkte, Leuchtsterne und Kathi-Plätzchenbackmischungen. Und mit ihnen – weniger fröhlich, aber dafür ebenso zahlreich – zeigen sich auch die Weihnachtslästerer: die, die es sich zur Aufgabe machen, den gesamten Dezember lang bei jeder Wiederholung von „Last Christmas“ theatralisch mit den Augen zu rollen und laut zu stöhnen. Die bei der einfachen Erwähnung von Heiligabend einen der Klassiker aus ihrem großen Angebot an Pseudo-Kapitalismus- und Religionskritik zum Besten geben. Die ernsthaft behaupten, Christstollen wären jetzt nicht so ihr Ding!

Aber ich habe Verständnis für die armen Weihnachtsverdrossenen. Denn auch ich war mal eine von ihnen. Es war ein Aufenthalt in Südkalifornien zur Weihnachtszeit, der mich heilte: Wer einmal die Absurdität einer fünf Meter hohen geschmückten Tanne, umsäumt von ebenso großen Palmen, bei strahlendem Sonnenschein und 20 Grad Celsius erlebt hat, wünscht sich schnell zurück ins winter wonderland Deutschland.

Ich ächzte geradezu nach Schnee, Dunkelheit und – zu meinem eigenen Erstaunen – nach Kälte. Nicht so sehr wegen der Kälte selbst, sondern viel mehr weil sie den Glühweinkomsum erst wirklich zum Genuss macht. Ich hätte durchaus „gluhwein“ in Kalifornien bekommen können, aber bei den erwähnten 20 Grad hat man schlicht kein Bedürfnis danach. Und wenn ich noch eines aus meinen Weihnachtsmuffeltagen weiß, dann dies: Glühwein ist das einzige Weihnachtsphänomen, über das sich keiner von uns je beschwert hat!

Mein Dezemberverdruss ist heute verflogen und hat sich sogar in milde Freude an diesem ganzen Spektakel verwandelt. So entdeckte ich vor kurzem in Neukölln die kathartische Wirkung einer winkenden Weihnachtsmannbeleuchtung. In ständig wechselnder Geschwindigkeit bewegte das kleine Leuchtmännchen seinen Arm auf und ab und ich schaute ein ganzes Glas Minztee lang zu, fasziniert ob meiner inneren Ruhe.

Vor zwei Jahren noch hätte jede Art unregelmäßig schnellen Weihnachtsblinkens sämtliche Buttons bei mir gepusht. Insbesondere dann, wenn die Leuchtabfolge dazu führt, dass ein Weihnachtsmannärmchen bei schneller Geschwindigkeit aussieht wie ein wackelnder, rot-grüner Penis. Doch statt wie früher die Besitzer zu verfluchen, freute ich mich über ihren Humor – oder eben ihre Unschuld. Zudem wurde mir eines klar: Wenn ein leuchtender Wackelphallus mich in einen meditativen Zustand versetzen kann, dann ist Weihnachten wahrhaft eine magische Zeit.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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