Pillen schlucken für den Bachelor

Eine Studie belegt, dass immer mehr Studierende zu Psychopharmaka greifen. Natalia Gawron glaubt, dass gestiegener Leistungsdruck die Ursache ist.

Eine Studie der Techniker Krankenkasse hat untersucht, wie sich der Absatz von Psychopharmaka unter Studierenden entwickelt. Die Ergebnisse sind erschreckend: 2006 erhielt ein Student statistisch gesehen noch 8,7 Tagesdosen psychoaktiver Medikamente im Jahr. Vier Jahre später waren es 13,5 Tagesdosen, das sind 55 Prozent mehr. Ein gleichaltriger Berufstätiger erhält im Vergleich zum Jahr 2006 nur 39 Prozent mehr. Nicht, dass das wenig sei.

Außerdem belegte die Studie, dass Studenten vor allem an Selbstzweifeln, Panikattacken und Nervosität leiden. Zukunftsängste und Geldnot erschweren das studentische Leben. Frauen sind mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer. Unter den verschriebenen Pillen liegen Antidepressiva weit vorn. Woher kommt diese Entwicklung?

Die Ursachen sind im Bachelor-Master-System zu finden. Die Studienbedingungen haben sich deutlich verschärft. Der Leistungsdruck wird immer höher, die Konkurrenz immer besser und die Zeit immer knapper. Klar, dass die Psyche dann irgendwann nicht mehr mitmacht.

Der Schwächste fliegt

Freies Lernen? Fehlanzeige. So schnell wie möglich profitabel für die Wirtschaft zu sein ist das Ziel. Wer soll denn auch ein Studium von zehn Jahren finanzieren? In drei Jahren den Bachelor machen und ab auf den Arbeitsmarkt, lautet die Devise. Den Master kann man ja notfalls nebenbei dranhängen.

Lernen und Lehren im Sinne der Selbstentfaltung und der Interessenerweiterung ist schon lange nicht mehr drin. Scheine, Scheine, Scheine! Oberflächlich durch die Seminare huschen, alle Pflichtveranstaltungen abklappern, Hauptsache: die Klausuren bestehen. Für mehr bleibt keine Zeit. Ständiger Leistungsdruck – ist das der richtige Weg, Studenten auf die große, weite Welt vorzubereiten?

Vielleicht ja. Der Arbeitsmarkt ist hart und die Konkurrenz groß. Wer nicht profitabel ist, bleibt auf der Strecke. Gradlinigkeit, Internationalität und vor allem Flexibilität sind mitzubringende Grundvoraussetzungen. In der Firma wartet keiner, bis man seinen Interessenschwerpunkt gefunden hat. Es geht um schnellen Profit. Und da wären wir wieder bei den Scheinen. Die Macht des Geldes hat über die Humanität gesiegt. Der Schwächste fliegt.

Hier bietet zum Glück die Medizin die Lösung. Wer nicht mithält, muss nicht untergehen – er kann einfach zur Pille greifen. Ritalin für die Konzentration, Antidepressiva gegen die Selbstzweifel: Alle Möglichkeiten zur Selbstoptimierung stehen offen. Nebenwirkungen? Interessieren nicht. Wir haben ja gelernt: Der schnelle Profit zählt. Jetzt funktionieren, in zehn Jahren in der Geschlossenen landen – klingt doch nach einem guten Deal, oder?

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. Benny sagt:

    Solange solche sozialromantische Jammerprosa unter Studierenden noch anschlussfähig ist, kann die Pharmaindustrie auf gute Geschäfte hoffen.
    Die gesellschaftlichen Umwälzungen am Beginn der posteuropäischen Epoche bringen zwangsläufig auch das deutsche Hochschulwesen, das im Kern immer noch dem „Öffnungsdogma“ der Siebzigerjahre anhängt, an seine Grenzen. Dass dieses Dogma überholt ist, traut sich (noch) kein Entscheidungsträger offen auszusprechen.
    Öffnung bedeutet in der Praxis Nivellierung nach unten, sprich Niveauabsenkung. Nicht nur die Ausbildungsfähigkeit der Hauptschüler nimmt ab, sondern auch die Studierfähigkeit der Abiturienten. Überforderung ist keine Folge des Studiums, sie geht diesem voraus. Der Zukunftsangst und Depression sind die schmerzhaften Nebenwirkungen einer Wahrheit, die langsam einsickert und mit der die Generation Bologna allein gelassen wird.
    (Hochschul-) Bildung wird durch die Gemeinschaft ermöglicht; sie steht somit auch im Dienst der Gemeinschaft. Die Uni ist zuerst eine Ausbildungs-, keine Selbstfindungs- und Selbstverwirklichungsanstalt. Es fehlt an der Einsicht, dass menschliches Leben schon unterhalb des Bachelors beginnt. Den freigeistig-forscherischen Ansatz, auf dem jedes Hochschul-Curriculum gründet, weiß nur eine Minderheit von Studierenden produktiv zu nutzen. Das gilt besonders für die sozialwissenschaftlichen Massenstudiengänge. Dort sitzt die Mehrheit der Studierenden pflichtschuldig ihre Zeit ab.
    Dieser weniger theoretisch interessierten Mehrheit ist mit dem Ausbau eines praxisorientierten Ausbildungssystems unterhalb herkömmlicher Hochschulen mehr geholfen: mehr Berufsakademien, mehr duale und berufsgleitende Studiengänge. Nicht unverbindliche Freiheit, sondern fachkundige Anleitung und Lernen in Gemeinschaft.
    Wer sich auf diesem Pfad (bis ca. Mitte Zwanzig) bewährt, dem soll höhere akademische Weiterbildung offen stehen. Für den Rest bieten sich mit einer eher praxisbezogenen Ausbildung immer noch mehr erfüllende Lebensperspektiven, als wenn er sich unter dem Nullkonzept „selbstbestimmtes Studium“ der postmodernen Sinnsuche hingibt.

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