Hoch „Michael“ wird an der FU getauft. Die Meteorologiestudierenden finanzieren sich durch Namenspatenschaften für Luftdruckgebiete – eine weltweit einzigartige Idee. Von Katharina Fiedler
Neugierig schaut Julia Sieland durch die Backsteinzinnen des alten Balkons in den Himmel. Hoch oben auf dem ehemaligen Wasserturm in Steglitz streckt die 24-jährige Meteorologiestudentin der FU die Hände in die Höhe, um den Niederschlag zu prüfen. „Die typische Bewegung einer Meteorologin“, sagt sie und lacht. Jede volle Stunde, 365 Tage im Jahr beobachten Studierende und Meteorologen von diesem Balkon aus das Wetter. Sie schreiben Wetterberichte, codieren Wetterparameter zur internationalen Vergleichbarkeit und schicken die Daten an den Deutschen Wetterdienst. Weltweit können ihre Erhebungen genutzt werden.
Seit zehn Jahren blicken Lehrende und Lernende gemeinsam in den Himmel. Denn damals fehlte plötzlich das Geld für ausgebildete Wetterforscher, sodass die Studierenden die Wetterbeobachtung für den größten Teil des Tages übernahmen. Um sich zu finanzieren, riefen die jungen Wetterbeobachter im November 2002 die „Wetterpartnerschaften für Hoch- und Tiefdruckgebiete“ ins Leben. Dabei können Paten gegen Geld Wetterereignisse auf ihren Namen taufen. Bei mehr als 100 Hochs und Tiefs im Jahr kommt jeder Anfangsbuchstabe mehrmals an die Reihe. „Wir stellen die Buchstaben von A bis Z in verschiedenen Durchläufen zur Wahl“, erklärt Julia. Potenzielle Wetterpaten können nachfragen, wann der gewünscht Buchstabe noch frei ist.
Jedes Jahr im Herbst werden die Namenspatenschaften verkauft oder im Internet versteigert. Ein Hoch kostet 299 Euro, bei einem Tief ist man mit 199 Euro dabei. Julia rechtfertigt die Preise: „Wenn man sich bei 180 Hochs und Tiefs im Jahr und 20 Stu- dierenden, die Tag und Nacht arbeiten, den Stundenlohn ausrechnet, muss man sagen, dass Andere dafür nicht einmal putzen gehen würden. Aber wir sind hier eben eher mit dem Herzen als mit dem Geldbeutel dabei.“
Das Meteorologie-Institut der FU ist das einzige in Deutschland mit eigener Wetterstation, an der die Studierenden eine praxisnahe Ausbildung erfahren. Seit mehr als 100 Jahren beobachten Forscher am Institut nahe dem Botanischen Garten das Wetter. Mittlerweile ist die Station die letzte bemannte Wetterwarte Berlins. „Wir sind sehr stolz, dass wir eine so lange Beobachtungsreihe weiterführen können. Das gibt es nicht oft“, sagt Julia.
Sie kümmert sich um die Vergabe der Patenschaften. Oft verschenken Menschen diese zu besonderen Anlässen. Dann stehen hinter den Namen sehr persönliche Geschichten, die auch Julia immer wieder berühren: „Manchmal sind es Erinnerungen an Verstorbene – also ein letztes Geschenk Richtung Himmel. Manche Angehörigen wünschen sich dann ein Tiefdruckgebiet und hoffen auf Sturm, weil das vielleicht dem temperamentvollen Charakter des Verstorbenen entspräche.“
Wenn das Hoch- oder Tiefdruckgebiet von den Wetterkarten Mitteleuropas verschwindet, schreiben die Studierenden dessen individuelle Lebensgeschichte auf. Diese versenden sie dann mit einer Urkunde und einer Wetterkarte an die Paten. Julia ist auch nach drei Jahren noch mit Leidenschaft dabei. Vor allem, wenn ein Tiefdruckgebiet aufzieht, ist die Studentin gern draußen, um ihr Lieblingswetter live zu erleben: Sturm.
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