Mangelware Hoffnung

Eine resignierte Generation junger Europäer setzt alles auf Deutschland. Doch hier hören die Probleme nicht auf. Matthias Bolsinger sucht nach Gründen und Problemen für den Neubeginn.

Illustration: Alfonso Maestro und Christopher Hirsch

Sie fühlen sich wohl. Während sich draußen allmählich der Berliner Winter andeutet, gibt es in der gut beheizten Küche von Nikias und Johanna griechische Süßigkeiten zum Tee. „Hier denken irgendwie alle, dass wir in Griechenland gar kein Geld mehr haben“, meint Nikias und lächelt schelmisch. „Ganz so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“ Der Weg von Menschen wie Johanna und Nikias zeigt aber, dass es vor allem an einem in Griechenland mangelt: Hoffnung.

Die beiden 19-Jährigen kommen aus Thessaloniki, einer Hafenstadt im Norden Griechenlands. Johanna hat an der Freien Universität ein Jura-Studium begonnen, Nikias studiert an der Technischen Universität Technischen Umweltschutz. Beide haben in Griechenland eine deutsche Schule besucht. Das erleichterte ihnen den Sprung nach Deutschland, wo dennoch vieles anders läuft als angenommen. Dass Johanna und Nikias seit zwei Jahren ein Paar sind, macht vieles einfacher. Gegenseitige Unterstützung ist wichtig in Zeiten großer Unübersichtlichkeit.

In Griechenland grassiert Resignation. In der Heimat zu bleiben, ist für immer weniger junge Leute eine Option. Bevor die Staatsschuldenkrise ausbrach, verließen meist nicht mehr als zehn der 60 Absolventen von Nikias‘ ehemaliger Schule das Land, erzählt er. Jetzt seien es rund 50. Wer der Realität ins Auge sehe, gehe. Auch deswegen, weil sich im Land strukturell kaum etwas ändere. „Im ersten Semester an der Universität kommen die Parteien auf dich zu und versprechen dir Jobs“, weiß Nikias von Freunden.

Immer noch zögen viele seiner Altersgenossen eine Beamtenlaufbahn in Betracht – obwohl der aufgeblähte griechische Verwaltungsapparat verkleinert werden soll. Korruption und Vetternwirtschaft seien nach wie vor ein großes Problem. Teilweise reichen sie bis in die Universität: „Nicht selten hängen Noten von der Parteimitgliedschaft ab“, meint Johanna. Was ihnen bevorstehen könnte, wenn sie im Land bleiben, sehen junge Griechen an ihren Eltern. Nikias’ Mutter muss schwarzarbeiten, um anständig leben zu können. Die Renten sinken und sinken.

Auch in Italien wird das Klima rauer. Dort muss die Regierung wegen der Schuldenkrise ebenfalls sparen. Der Unmut ist groß. „Die Situation der jungen Menschen ist hoffnungslos“, erzählt Toledo, ein gebürtiger Römer. Der 24-Jährige, der ebenfalls eine deutsche Schule besuchte, hat gerade seinen BWL-Master an der FU begonnen. „Immerhin: Schlimmer kann es bei uns nicht werden“, meint er sarkastisch. Die Ära Berlusconi habe alle politischen Utopien zerstört. Man müsse schauen, wo man bleibt. Für viele heißt das: weg von Zuhause. Wie schlimm es um die Perspektiven in Italien steht, zeigt das Beispiel eines Freundes von Toledo. Er ist vor kurzer Zeit nach Berlin gekommen. Jetzt wäscht er Teller. Allem Anschein nach immer noch besser, als in der Heimat zu bleiben.

Deutschland wird für viele Menschen in der Krise zum Rettungsring. „Die meisten unserer Freunde werden versuchen nach Deutschland zu kommen“, sagt Johanna. „Selbst diejenigen, die nicht auf einer deutschen Schule waren.“ Dieser Trend lässt sich längst in Zahlen fassen. Verglichen mit dem Vorjahr stieg die Zahl der Zuwanderungen nach Deutschland laut Statistischem Bundesamt im ersten Halbjahr 2012 um 15 Prozent. Auffällig ist, wie viele Menschen aus denjenigen EU-Ländern nach Deutschland kommen, die stark unter der Finanz- und Schuldenkrise leiden. Die Zuwanderung aus Griechenland stieg innerhalb eines Jahres um 78 Prozent; aus Spanien und Portugal kamen jeweils 53 Prozent mehr Menschen ins Land als im Jahr zuvor.

Die Bundesregierung stützt die kriselnden Länder der Europäischen Union. Die deutsche Bevölkerung nimmt das mit deutlich vernehmbarem Murren hin. Europaskepsis, Angst um den eigenen Wohlstand – das ist die Atmosphäre, in der Zugewanderte einen Neubeginn stemmen müssen. Die Sprache ist nur eine von vielen Hürden. „Ich kann auf Deutsch nicht ich selbst sein“, sagt Nikias. Nur mühsam finden Johanna und er Anschluss in Berlin. Sieht man von den Treffen mit anderen Griechen in der Stadt einmal ab, sind Freundschaften spärlich gesät. Zudem braucht alles mehr Initiative, mehr Mut, mehr Zeit. Für das, was Johannas Kommilitonen an einem Nachmittag lernen, braucht sie doppelt so viel Zeit. Noch schwerer gestaltet sich die Wohnungssuche. Selbst für gebürtige Deutsche ist der Berliner Wohnungs- markt ein hartes Pflaster für Zugewanderte gerät die Suche nach Wohnraum zur Odyssee. Vor drei Jahren bereits untersuchte die Soziologie-Studentin Emsal Kilic für ihre Diplomarbeit die Ausschlussmechanismen auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Dafür verfasste sie hunderte Bewerbungsschreiben an Vermieter in Wilmersdorf und Neukölln, mal mit türkischem, mal mit deutschem Namen versehen. Die Reaktionen der Vermieter auf die Bewerbungen mit türkischem Namen reichten nach Angaben der Soziologin von „unterschwelliger Feindseligkeit“ bis zu „offener Ablehnung“. Wer keinen deutschen Namen trägt, hat es ungleich schwerer auf dem Wohnungsmarkt.

Bis Januar kommen Johanna und Nikias bei einem befreundeten Griechen in Wilmersdorf unter, Toledo wohnt bei einer Freundin seiner Mutter. Die Zukunft der beiden unsicher. Hinzu kommt, dass die deutsche Bürokratie vor allem Zugewanderten ein Bein stellt. 40 Euro musste Nikias etwa für die Übersetzung der Steuererklärung seiner Eltern bezahlen, ehe sich herausstellte: Die Bürgschaft ist für ihn praktisch wertlos. Der Zugriff auf ausländische Konten ist für die Vermieter im Ernstfall zu kompliziert. Auch die WG-Suche blieb erfolglos. „Deutsche wollen eben lieber Deutsche haben“, so die beiden Griechen, auch wenn sie nicht von Diskriminierung sprechen wollen.

Mit dem Umzug nach Deutschland hört für die Betroffenen die Unsicherheit also nicht auf. Nur wenige wollen jedoch so offen wie Johanna, Nikias und Toledo über die Herausforderungen in Deutschland sprechen. Ein Spanier, der in Berlin einen Job sucht und lediglich Praktika findet, will sich lieber gar nicht äußern. „Du musst verstehen, es ist nicht einfach für uns immer über das gleiche Thema, diese Krise, zu sprechen“, schreibt er.

Es scheint, als wolle niemand mehr von der Zukunft träumen. Johanna und Nikias sehen in Griechenland „eine Generation, die nichts mehr zu verlieren hat“. Fraglich, wie lange sich Europa solch eine Generation leisten kann.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.