Schluss mit Steuern

Der Roboter erobert die Straße. Ein an der FU entwickeltes selbstfahrendes Auto hat die ersten Schnupperfahrten hinter sich. Steht unsere Mobilität vor der Revolution? Von Jan Wasserziehr

Professor Raúl Rojas vor seinem selbstfahrenden Auto mit dem Logo der FU. Foto: Cora-Mae Gregorschewski

Professor Raúl Rojas vor seinem selbstfahrenden Auto mit dem Logo der FU. Foto: Cora-Mae Gregorschewski

Tom Cruise sitzt entspannt im Auto. Er fährt über einen vollen Highway; dennoch kann er problemlos ein Videotelefonat führen. Selbst am Steuer zu sitzen, ist in seinem Auto nicht mehr nötig. Es fährt von selbst. Erst als klar wird, dass die Polizei hinter ihm her ist, übernimmt er die Kontrolle.

Diese Szene stammt zwar aus der Science-Fiction- Thriller „Minority Report“, doch an der FU bemühen sich Forscher, die fiktive Welt Realität werden zu lassen: Unter der Leitung von Raúl Rojas, Professor für künstliche Intelligenz, arbeitet das Projekt „Autonomos“ seit 2007 an der Entwicklung von Fahrzeugen, die sich ohne menschliches Zutun auf den Straßen bewegen sollen. Das Ziel ist klar: Der Mensch soll im Auto möglichst bald von seiner Hauptauf- gabe, dem Steuern, entbunden und durch einen Computer ersetzt werden.

Vielerorts ist es schon so weit, dass Maschinen ohne menschliche Hilfe auskommen. Die Robotik ist eine jahrzehntealte Disziplin. In der Industrie etwa werden Roboter schon seit Langem erfolgreich eingesetzt. Und auch Roboter, die den menschlichen Alltag erleichtern sollen, haben in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht: Es gibt Roboter, die Reinigungsaufgaben übernehmen und sogar solche, die Kaffee durchs Büro fahren.

Kameras manövrieren durch den Verkehr

Raúl Rojas und seine 13 Mitarbeiter von „Autonomos“ aber haben sich vorgenommen, den Personentransport zu revolutionieren. Ihnen schwebt das „Taxi der Zukunft“ vor, sozusagen eine vollendete Form des Carsharing. Rojas ist sich sicher: „Diese Art von Transport wird die Gestalt von Städten verändern.“

Der Prototyp für diese Revolution heißt „MadeInGermany“. Es handelt sich um einen VW Passat Variant 3c. Seine dritte Version wird derzeit fahrtüchtig gemacht. 2010 schon bestand „MadeInGermany“ seine „Führerscheinprüfung“, eine durch den TÜV zertifizierte Fahrerlaubnis für Berlin. Natürlich muss bei den Fahrten immer noch eine Person hinter dem Steuer sitzen, die im Notfall eingreifen kann. Doch im Herbst 2011 gelang tatsächlich eine Testfahrt durch Berlin. Von Dahlem bis zum Brandenburger Tor fuhr das Fahrzeug ohne menschliches Einwirken.

Doch wie kann es funktionieren, dass sich ein Auto alleine im Verkehr zurechtfindet? Wie kann der aus Flugzeugen und Schiffen bekannte Autopilot auch im Straßenverkehr eingesetzt werden? Die Antwort ist kaum überraschend: mittels anspruchsvoller, hochentwickelter Technik. »MadeInGermany« ist mit Kameras, Laserscannern und einem Radar bestückt, die ihre Umwelt erfassen und verarbeiten. Die Kameras registrieren Ampeln und Fußgänger, die Laserscanner nehmen alle umliegenden Objekte wahr und messen ihren Abstand zu anderen Autos im Verkehr. Ein Radar ermittelt die Geschwindigkeit, mit der diese sich bewegen.

Menschliches Fahrverhalten ist unberechenbar

Eine Schlüsselrolle fällt dem Ortungssystem GPS zu: Während GPS-Geräte eines gewöhnlichen Autos dessen Position mit 10 bis 15 Metern Toleranz ermitteln können, irrt sich das GPS-Signal im autonomen Auto der FU-Forscher höchstens um 50 Zentimeter. Auch die Kartierung ist sehr viel detaillierter als die der üblichen Programme – sie berücksichtigt nicht nur Geschwindigkeitsbegrenzungen, sondern auch Verkehrsschilder. So kann es dem Auto strenge Verhaltensregeln diktieren. Momentan kostet „MadeInGermany“ 400.000 Euro. Allein der handgefertigte Laserscanner sei dreimal so teuer gewesen wie das Serienauto, sagt Rojas.

Wie so oft ist es jedoch nicht nur die Technik allein, die den Forschern Kopfzerbrechen bereitet: „Das Problem ist die Kombination von Mensch und Roboter«, sagt Rojas. Anders als bei Computern sei das menschliche Fahrverhalten kaum berechenbar. Ein gutes Beispiel dafür ist der Sicherheitsabstand auf der Autobahn: Während das führerlose Fahrzeug stets den vorgegebenen Abstand zum nächsten Fahrzeug einhält, nutzen menschliche Fahrer den so frei werdenden Raum nur zu gern. Das „MadeInGermany“ müsste stets bremsen, um den Sicherheitsabstand wiederherzustellen und käme so kaum vom Fleck. „Wenn alle Autos Roboter wären“, so Rojas, „dann könnten sie sich per Funk abstimmen.“

„Schavan hat das Projekt nicht verstanden“

Doch das bleibt wahrscheinlich noch für eine ganze Weile Zukunftsmusik. Nach Rojas’ Einschätzung wird es noch 30 bis 40 Jahre dauern, bis wir uns tatsächlich von autonomen Autos durch die Städte kutschieren lassen können. „MadeInGermany“ hat bisher auch erst einen Ausflug hinaus aus der Berliner Verkehrsluft gemacht – nach Mexiko-Stadt, Rojas’ Heimat. Die Millionenmetropole, eine Verkehrshölle, sei die „ultimative Herausforderung“ gewesen, sagt Rojas. Nicht nur das aggressive Fahrverhalten der Menschen sei ein Problem, sondern auch die mangelhafte Kartierung der Stadt, die schwache Infrastruktur sowie Straßen ohne Fahrbahnmarkierungen. „Selbst ich hatte Angst, dass wir einen Unfall bauen“, gibt Rojas zu.

Doch es ging alles gut – zum Glück, denn das Medieninteresse in Mexiko war groß. Sogar Marcelo Ebrard, Regierungschef der Stadt, stieg für eine Testfahrt ins Auto. Hierzulande gab es immerhin eine Testfahrt in Begleitung von Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung. „Schavan hat das Projekt nicht verstanden“, erzählt Rojas schmunzelnd. „Sie dachte, das Auto sei eine Erfindung für alte Leute, die nicht mehr selbst fahren können.“ Man kann es ihr nicht verdenken. Noch fällt es schwer, sich vorzustellen, dass gerade die autoverrückten Deutschen irgendwann freiwillig das Steuer aus der Hand geben sollen. Rojas aber ist überzeugt: „In 100 Jahren werden sich die Menschen wundern, dass wir früher Spaß daran hatten, selbst zu fahren.“

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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