„Wir möchten es immer wieder haben“

Um den Rausches besser zu verstehen, haben Natalia Gawron und Diep Le Hoang bei Psychiater Arnim Quante nachgefragt, was es mit dem Zustand auf sich hat.

Für Psychiater Arnim Quante steht fest: "Die Sehnsucht nach Rausch ist etwas ganz Natürliches."
Für Psychiater Arnim Quante steht fest: „Die Sehnsucht nach Rausch ist etwas ganz Natürliches.“ Foto: Cora-Mae Gregorschewski

Rausch ist ein schwer zu erfassender Zustand. Rausch ist Glück und manchmal kann das Verlangen nach Rausch zur Sucht werden. Darüber sprach FURIOS mit Dr. Arnim Quante, der Medizin an der FU studiert hat und nun als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie das Modul „Integrative Psychiatrie“ an der Charité leitet.

FURIOS: Herr Dr. Quante, wann waren Sie das letzte Mal im Rausch?

Arnim Quante: Das ist eine schwierige Frage. Als eine wissenschaftliche Arbeit von mir angenommen wurde, habe ich mich wirklich berauscht gefühlt, also im Sinne eines Glücksgefühls. Erst dachten wir, dass das nicht klappt. Dass sie schließlich doch genommen wurde, hat mich echt gefreut. Und das sogar über mehrere Stunden.

FURIOS: Rausch ist schwer zu beschreiben oder gar zu erklären. Wie definieren Wissenschaftler überhaupt das, was wir im Alltag als Rausch bezeichnen?

Quante: Rausch im psychiatrischen Sinn ist ein Zustand mit mehreren Eigenschaften: Das Bewusstsein ist getrübt oder verschoben. Man hat kognitive Störungen, Wahrnehmungsveränderungen, bis hin zu Veränderungen der Stimmung und des Verhaltens. Dies geschieht meist durch den Konsum von Alkohol, anderen Drogen oder auch im Rahmen von Medikamentenvergiftungen. Rauschzustände ohne die Einnahme solcher Substanzen gibt es auch, dann jedoch meist nicht in dieser Ausprägung. Vielmehr handelt es sich dann um verzerrte Wahrnehmungen und Einengung auf das rauschauslösende Ereignis.

FURIOS: Warum sehnen wir Menschen uns nach dem Rauschzustand?

Quante: Das ist etwas ganz Natürliches. Es liegt an gewissen Hirnstrukturen des Menschen, die verantwortlich für Lustempfinden und Glücksgefühle sind. Wir streben praktisch danach, Hormone auszuschütten, die Glücksgefühle auslösen. Das kennen wir schon vom Kindesalter an, wenn beispielsweise die Mutter uns Zuwendung gibt und wir dabei Glück verspüren. Das Gehirn speichert diesen emotionalen Zustand, es lernt, wie sich das Gefühl von Glück anfühlt und will dann mehr davon haben.

FURIOS: Das Gehirn ist also Glücksnimmersatt. Entsteht dort auch die Sucht nach dem Rausch?

Quante: Wenn man einmal ein Glücksgefühl hatte, dann ist es tatsächlich so, dass im Gehirn Dopamin oder Endorphine vermehrt ausgeschüttet werden. Das Ganze ist ein Lernprozess. Wir möchten es immer wieder haben – und wenn man etwas immer wieder haben will, besteht die Gefahr, dass man süchtig danach wird.

FURIOS: Sind wir dann nicht letztendlich Opfer unserer eigenen Biochemie? Welche Hormone spielen beim Rauschzustand eine Rolle?

Quante: Die größte Rolle spielt Dopamin. Dopamin ist ein Botenstoff, der durch verstärkte Produktion in bestimmten Teilen des Gehirns verantwortlich für das Glücksgefühl ist. Außerdem gibt es noch andere körpereigene Hormone: die Endorphine beispielsweise.

FURIOS: Ist die Anfälligkeit für den Rauschzustand genetisch bedingt?

Quante: Ja, absolut. Zumindest bei substanzgebundenen Abhängigkeiten. Man weiß aus wissenschaftlichen Studien, dass beispielsweise Kinder von alkoholabhängigen Eltern auch viel öfter eine Alkoholabhängigkeit entwickeln.

FURIOS: So sehr sind wir prädestiniert für den Rausch? Das ist ja furchtbar.

Quante: Nun ja, ganz so furchtbar ist es nicht. Vieles hängt auch mit dem Lernen zusammen. Kinder von Alkoholabhängigen gucken sich viel von den Eltern ab. Das ist sehr wichtig für den gesamten Verstehensprozess von Rausch.

FURIOS: Kann man denn den Rausch überhaupt verstehen? Es ist doch ein sehr subjektives Empfinden.

Quante: Man kann beispielsweise mit Hilfe eines funktionellen MRT messen, ob bestimmte Hirnregionen bei bestimmten Emotionen mehr oder weniger aktiv sind. Es gibt dazu eine Reihe von Studien, die diese Aktivitäten nachweisen konnten.

FURIOS: Wir Studenten geraten manchmal in eine Art Lernrausch. Wie lässt sich dieser „Flow“ erklären, in den man nach einiger Zeit des Lernens verfällt?

Quante: Wenn man merkt, dass man weiterkommt und merkt, dass es flüssig läuft, wird wieder das Belohnungssystem aktiviert. Ich merke: Das tut mir gut. Ich mache weiter. Als Rausch würde ich das nicht unbedingt bezeichnen. Nicht aus biologischer Sicht.

FURIOS: Kann sich denn auch aus dem Lernrausch eine krankhafte Sucht entwickeln?

Quante: Ich höre immer wieder, dass Studenten zu Medikamenten greifen, um bessere Leistungen zu erbringen. Solche Medikamente wirken direkt im Belohnungszentrum und aktivieren die Dopaminausschüttung. Oft ist das mit einem Placeboeffekt verbunden. Man denkt, man kann es besser, man denkt, man lernt effektiver. Tatsächlich gibt es keine großen Unterschiede zwischen denen, die ein Medikament nehmen und denen, die es nicht tun. Man glaubt also nur, dass man in einen Lernrausch kommt.

FURIOS: Viele Menschen versuchen mittels Meditation ihr Bewusstsein zu erweitern, gewissermaßen einen Rausch zu erleben. Alles Einbildung oder funktioniert das wirklich?

Quante: Nein, das ist keine Einbildung, das funktioniert. Man kann Unruhe oder Stress durch Meditation abmildern. So kann der Impuls, den Stress durch andere Mittel zu vergessen, sehr viel geringer sein. Man muss jedoch offen und bereit dafür sein. Das ist ganz wichtig. Viele erleben durch Meditation, zum Beispiel auch durch Yoga, eine Art Glücksgefühl der Entspannung.

FURIOS: Sie sagten, dass die Anfälligkeit für den Rauschzustand auch etwas mit unseren Genen zu tun hat. Ist Glück dann ebenfalls genetisch veranlagt?

Quante: Nein. Aber es gibt Menschen, die durch frühere Lernerfahrungen, zum Beispiel durch emotionale Kühle durch die Eltern, teilweise mehr Schwierigkeiten haben, Glück auch als solches zu empfinden.

FURIOS: Ein Grund, sich in einen Rausch zu versetzen, mag die Suche nach Glück sein. Haben wir eine gewisse Fähigkeit Glück zu erleben oder nicht?

Quante: Das kommt darauf an, welche Erfahrungen der einzelne Mensch macht. Menschen, die traumatische Erlebnisse erfahren haben, können Glücksgefühle weniger emotional ausleben. Menschen, die unter normalen Umständen aufwachsen, haben aber alle Chancen das Glück zu lernen: Partnerschaft, Hobbys, Freunde. Wenn sie das alles haben, dann haben sie schon das Glück erreicht. Man muss es sich nur bewusst machen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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