Schön, dich zu sehen. Nicht!

Weihnachtliche Stufentreffen im Heimatkaff sind der Gipfel der Heuchelei und bescheren jede Menge unerwünschten Körperkontakt. Julian Niklas Pohl analysiert ihre Sinnlosigkeit.

Illustration: Cora-Mae Gregorschewski

„Hey naaaa? Wie geht’s dir? Was machst du so?“ bringt die verhasste Streberin hervor, nachdem sie mich flüchtig umarmt hat – ganz den in dieser Scheißkneipe und diesem Scheißabend sozialen Konventionen entsprechend.

Es ist diese Sorte Umarmung, die nur von einer Seite wirklich intendiert, von der anderen höchstens akzeptiert ist: minimaler Körperkontakt, kein wirkliches Umlegen des Armes. Aber beide nehmen sie als unzureichendes Mittel wahr, um ihrem Unwillen über das Zusammentreffen Ausdruck zu verleihen Es ist mehr ein höfliches, sehr flüchtiges Rempeln als sonst irgendetwas.

Naaaa, was mach ich denn so? Ich kotze mir beinahe in den Mund, schlucke dann alle verfügbaren Optionen der zurückhaltenden Oberflächlichkeit runter und sage ein nur minimal unechteres: „Heeeeeeyyyy naaaaaaaaaaa?“ zurück. Verwirrung erfüllt die großen dummen Kuhaugen vor mir. „Ach! Du immer mit deinen Witzen!“, plärrt die verhasste Streberin dann und grinst mich breit an. Meine Einsicht kommt umgehend: diese Leute verstehen mich immer noch nicht. Und ich sie auch nicht: Mag die mich? Will die wirklich wissen, wie es mir geht? Besteht eine Chance, mit ihr Sex zu haben? Nee. Oder?

Mit alten Schulbekanntschaften verhält es sich wie mit Fernbeziehungen jeder Art: Wenn man es nicht schafft, eine gewisse Form der Kommunikation auch über tausende Kilometer aufrecht zu erhalten, ist die Intensität und Authentizität der Beziehung limitiert.

Warum sollte ich mich also in einem Raum mit Menschen versammeln, deren einziges integratives Moment die Tatsache ist, dass sie im gleichen Jahr aus der gleichen beschissenen Institution namens Oberstufe haben fliehen können? Das muss doch zum Fest der Oberflächlichkeit verkommen.

Genauso gut kann ich mich doch am 23. Dezember alle Jahre wieder mit allen leicht Fettleibigen der Stadt oder allen Teilnehmern des großen Benefizschwimmens vom Sommer 2004 zusammenfinden. Da würde das Gespräch vermutlich sogar weniger holprig verlaufen.

Trotz allem könnt ihr mir glauben: ich hatte eine sehr spaßige Schulzeit und habe noch heute echte, gute Freunde aus alten Schultagen. Selbstverständlich möchte ich sie wiedersehen, wenn ich in der alten Heimat weile. Mit ihnen habe ich mich dann ja auch unterhalten, nachdem ich dem versammelten restlichen Kroppzeug mein Unbehagen ob der Begegnung in überzogenen Floskeln und seichtem Körperkontakt dargereicht hatte.

Doch hätte es dafür dieses Stufentreffen gebraucht? Nein, denn Freunde, wenn sie sich denn mit wahrer Ehrlichkeit als solche bezeichnen können, werden auch ohne diesen institutionalisierten Rahmen „zwischen den Jahren“ Zeit füreinander finden.

Wirklich lustig werden Klassentreffen erst in ein paar Jahren, wenn wir alle ausreichend Gründe dafür haben, uns gegenseitig zu zeigen, wie viel Geld wir haben und was unsere Töchter schon alles auf der Querflöte spielen können. „Also mein Sohn schreibt nur Einsen in Mathe. Wie, deiner braucht teure Nachhilfe? Ach, deswegen fährst du keinen Benz?“ Hach, das wird ein Spaß.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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5 Responses

  1. Niemenschd sagt:

    Niemenschd sollte sich “niemenschd” gefallen lassen.

  2. Motte sagt:

    Ich finde das mal wieder typisch, in welch offen chauvenistischer Art und Weise sich der mutmaßlich weiß-westlich-männliche Autor hier äußert. Frauen werden nur auf großäugige Sexobjekte reduziert. Niemenschd sollte sich diesen Unfug gefallen lassen!

  3. Au weia sagt:

    Nee… mit Sicherheit keine Ironie!

  4. Benjamin sagt:

    Mir wird nicht so ganz klar, warum jemand zu einem Stufentreffen geht, das ganze Spiel mitmacht und sich hier im Nachhinein den Frust von der Seele schreibt. Da fehlt mir ein bisschen die Ehrlichkeit und die Konsequenz. Und ganz konkret vermisse ich das ehrliche Interesse an Leuten, die man eben nicht zu seinen Freunden zählt. Menschen bleiben auch dann interessant, wenn man nichts mit ihnen teilt. Man muss den Schritt nach vorn nur wagen. Und ich spreche aus Erfahrung: Oft hört man genau dann die besten Geschichten. Auch die “verhasste Streberin” hat solch eine Chance verdient.

  5. endoplasmatisches retikulum sagt:

    Ich hoffe der letzte Absatz ist überspitzt ironisch gemeint. Das wäre ansonsten etwas traurig, wenn solche Leute so ein Treffen aus den Gründen besuchen würden, nur um anderen zu zeigen, was sie bis dahin “erreicht” haben.

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