Aus der Schublade

Es gibt zahlreiche kreative Köpfe an der Freien Universität. Fünf von ihnen haben in Neukölln ihre Texte vorgestellt. Das Interesse war groß, eine Wiederholung ist geplant. Von Valerie Schönian

Fünf Studierende haben aus ihren selbstverfassten Geschichten vorgelesen. Hier: Stefan Ferdinand Etgeton. Fotos: Cora-Mae Gregorschewski

Fünf Studierende haben aus ihren selbstverfassten Geschichten vorgelesen. Hier: Stefan Ferdinand Etgeton. Fotos: Cora-Mae Gregorschewski

Bilder aus Worten hängen in der Luft: Einige Zuhörer schließen die Augen, andere starren mit leerem Blick auf die Schuhe des Vordermannes und das Mädchen mit der Hornbrille in der Ecke übersieht, dass aus der schiefgelegenen Flasche in ihrer Hand das Bier langsam auf den Boden rollt.

„Ich wollte mich aufgeben und landete bei dir, der du mich bewahren wolltest“, liest Jule Böttner auf der Bühne. Sie sitzt an einem alten Nähtisch, neben ihr steht ein Glas Wasser. „Weil das, was ich in einem Übermut mein Leben getauft hatte, nur weiterlief, wenn du bei mir warst, war mir die Zeit mit dir so kostbar, dass ich ihr immer mehr zusetzte und an ihrem Pochen zehrte.“

Es geht wieder mal um das Thema Liebe, das die Autorin aber mit ihrer Sprache und ihren Worten füllt. Die Ausdrucksvielfalt hat sogar dem sonst so wortgewandten Moderator für einen Moment die Sprache verschlagen.

Autoren in spé

Jule studiert an der Freien Universität Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften. Gemeinsam mit ihren Kommilitonen Jennifer Bode, Khesrau Behroz, Elisabeth Botros und Stefan Ferdinand Etgeton präsentierte sie am vergangenen Samstag im Ida Nowhere in Neukölln ihre Kurzgeschichte „Wechselbilder“. Etwa 50 Zuhörer sind dafür in das Vereinshaus gekommen. Der ausgebildete Schauspieler und Theaterpädagoge Daniel Unsöld hat den Abend moderiert.

Das Publikum hat sich auf Sofas, harten Holzbänken und zwecks Platzmangel auf der Bühne ausgebreitet. „Es sind überraschend viele Leute, die ich nicht kenne“, sagt Jennifer, die Organisatorin des Abends, lachend. Sie hatte kurz nach Studienbeginn gemerkt, wie viele Texte in ihrem Studiengang kursieren. Die wollte sie unter die Leute bringen – „zum Feiern am Ende des Semesters“. Die Autoren waren schnell gefunden. „Bei der Auswahl der Texte haben wir auf die bunte Mischung geachtet“, erklärt Jennifer.

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Realistisch und Fantastisch, lyrisch oder prosaisch

Die Geschichten gehen in verschiedene Richtungen, aber alle eint die Liebe zum Detail. Der Text von Elisabeth Botros verliert sich in einer minutenlangen Beschreibung des apricotfarbenen Sofas; so genau, dass der Zigarettenrauch des abgenutzten Bezuges in der eigenen Nase kitzelt. Überrascht ist man von den kurzen Ausbrüchen ins Vulgäre, wenn sie den Toilettengang ihrer Heldin oder die schleimigen Flecken auf dem Teppich beschreibt.

Wie dieser Text, ist auch die Geschichte Jennifers in der Realität angesetzt. Er erzählt, das Leben einer Frau und ihres Mannes, das zwischen Ärger und Liebe hängt und sich vor dem Fernseher abspielt: Es läuft Skisport. Plötzlich bricht die Geschichte aus ins Fantastische, wenn die Frau für ihren Skifan einen 3000er-Berg für den „sieben Mal sieben Meter großen Garten“ bestellt.

Die Lesungen von Khesrau und Stefan heben sich vor allem durch deren Vortragsweisen ab. Khesrau erzählt von einem Mann der im gleichen Tempo, aber nicht im Gleichschritt durch das Leben geht. Er spricht lebendig, betont und wiederholt die Worte so, dass ein melodischer Sprechgesang entsteht. Man bekommt die Geschichte nicht zu fassen, aber schwebt mit ihrem Rhythmus.

Die Bedeutung von Wörtern

Stefan bringt als einziger Autor etwas zum Lachen mit, ohne dabei lächerlich zu sein. Er rast durch Momentaufnahmen mit Sex, Gras und Suff, pfeift mit norddeutschen Touch auf deutsche Grammatik und begeistert so die Zuhörer. „Marc-Uwe Kling auf Speed“, fasst es einer von ihnen zusammen.

Der Abend war eine Hommage an die Literatur, von Menschen, die das Lesen und Schreiben lieben. Schon im Sommer soll es die nächste Lesung geben, da das Interesse von Autoren groß war. „Viele kamen auf mich zu und meinten, sie hätten auch noch etwas in der Schublade“, sagt Jennifer.

Da kommt auch der Text von Jule her. Als der Moderator Daniel seine Sprache wieder hat, fragt er sie, warum sie schreibt. „Worte sind praktisch alles“, antwortet sie. „Sie sind die Ausdrucksform unseres Denkens und Erlebens:
Sie sind das Medium unseres Erlebens schlechthin.”

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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