Akademischer Ausdruck

Kein Ort ist so intim wie die Toilette. Hier wird Mensch zum Tier. Oder? Matthias Bolsinger hat die dunklen Orte der FU besucht und das vergessen geglaubte Debattenengagement der Studierenden gefunden.

Illustration: Cora-Mae Gregorschewski

Auf dem Pott endet das Akademische. Dort sind bekanntlich nicht nur Papst und Pöbel gleich, auch die Gattung Mensch, die sich aufgrund ihres ach-so-herausragenden Intellekts für etwas Besseres im Universum hält, findet in der Toilette den Ort ihrer Niederlage gegen die Natur. Geistige Omnipotenz unterliegt dem Diktat des Schließmuskels, visionäres „ich kann“ schlägt um ins bloße „ich muss“.

Klar, dass gerade Studierende sich gegen diese Niederlage stemmen. Über der Keramik soll die Bildung schließlich nicht aufhören. Ich denke, also bin ich – selbst bei der Defäkation. Deshalb säumen Schriftzeichen viele der universitären stillen Orte. Einsame Parolen, stille Debatten.

Letzte Lösung: Paradox

Es gibt natürlich Stildifferenzen. Wer an verschiedenen Instituten muss, weiß das. Die jeweiligen fachlichen Ausrichtungen beeinflussen die Art und Weise, in der sich die Studierenden – wann passte dieses Wort je besser: aus-drücken.

Das Lösungsmittel des Hausmeisters verwischt die Spuren des Toiletten-Diskurses. Den revolutionären Geist des Otto-Suhr-Instituts treibt aber kein Terpentin aus. Wo die Debatte über die klassenlose Gesellschaft unter dem Putzklappen verschwunden ist, prangen jetzt Bekundungen für eine Zivilklausel und gegen die RSPO.

Auch in der Philosophischen Fakultät will die Herrentoilette den Beweis liefern, dass ihre Fäkalienausbrüche den osianischen in Nichts nachstehen. Die These: „Philosophie ist politisch!“ Ob das ein synthetisches Urteil a priori sei, fragt ein offensichtlicher Kant-Verkenner darunter. Doch er wird ignoriert. Ein wahrer Philosoph nämlich unterläuft die Debatte: „Alle Sätze, die an Toilettenwänden stehen, sind falsch.“ Was für eine Pointe! Und was für eine Hommage an das Paradoxon des Epimenides, den Kreter, der meinte: „Alle Kreter sind Lügner.“

Eine Tür weiter schreitet man zur politischen Praxis. „Think genderless“ prangt auf der Damentoilette. Irgendwie nutzlos für mich, als Mann, der sich gerade dort hinein geschlichen hat (zu Recherchezwecken, versteht sich) und eine Parole vorfindet, die er mit dem Eintritt bereits reklamiert hat.

Fugenfuzzi und die bedingungslose Liebe

Mit abnehmender Verweildauer im Klo nimmt die Muße zum Nachdenken offensichtlich ab. Seitlich der Pissoirs sind die Botschaften unpolitisch. Zwischen den Kacheln verkünden „Ritzenpeter“ und „Fugenfuzzi“, dass sie zurück sind.

Auch in der Silberlaube ist das Politische heimatlos, piepst nur leise hervor zwischen Kack- und Wichs-Sprüchen, Penisprotzerei und Lebensratgeberei á la: „Bedingungslose Liebe führt zum Ziel.“ Populismus lebe von Slogans, meint einer und liefert dabei einen der knackigsten Slogans an der Wand. Was für ein Eigentor!

Irgendeiner stellt zu Recht die Sinnfrage. Ein anderer (Verbündeter von Fugenfuzzi?) nimmt’s mit Humor und fasst das Silberlauben-Wirrwarr zwischen den Keramikkacheln zusammen: „Wer sich fugt, der lugt.“ Der Diskurs geht weiter.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.