Jazz ist, wenn Musik die Ketten verliert

In der Kir­che gibt es das Wort, bei FURIOS den „Song zum Sonn­tag“. In den Semes­ter­fe­rien stellt Robert Ull­rich jede Woche ein Musik­stück vor. Augen zu, Laut­spre­cher an – heute: Jazz!

Das soll Jazz sein? Dieses nervöse Getrommel zu Beginn? Die billige Orgel als Hauptmotiv? Der elektronische Breakbeat zwischendrin? Gibt es da nicht repräsentativere Stücke für dieses Genre?

Gibt es. Doch ließe sich mit ihnen nicht die Geschichte von Tom Jenkinson erzählen. Jenkinson dürfte einigen besser unter dem Namen „Squarepusher“ bekannt sein. Mal klingt er nach Breakcore („Illegal Dustbin“), mal nach Acid-Drum’n’Bass („Tundra 4“). Begonnen hat er seine musikalische Laufbahn im Jazz-Milieu.

Dort galt er Anfang der 1990er-Jahre als exzellenter Bass- und Schlagzeugspieler. Als solcher beobachtete er, was mit seinen ebenso begabten Kollegen passierte. Sie waren gut, wurden besser, doch endeten sie zumeist in Spezialistenbands. Jenkinson fragte sich: „Welchen Sinn ergibt es, Musik für ein Publikum zu schreiben, das nur am technischen Können interessiert ist?“ Seine Antwort: keinen.

Also begann Jenkinson mit der Wilderei und seiner Mission. Er trieb die Grenzen auseinander und stellte die Hörgewohnheiten auf den Kopf. Jenkinson will konfrontieren und die Hörerin über den Tellerrand in den Abgrund springen lassen. In einem Interview sagte er: „Maybe my methods are crude“.

Jenkinson will lehren: Nicht die Kategorien der Musik gehören aufgelöst, sondern Denkmuster durchbrochen. Er ruft: „Kategorien, ja. Darin einsperren lassen, nein.“ Und so schließt sich der Kreis zu der eingangs gestellten Frage.

Dieser Song soll Jazz sein? Ja, denn er vermittelt eine Haltung. Wer sich einzwängen lässt und sich in Spezialisierungen verliert, dessen Kette wird nicht weit reichen. Jazz war ein Sprung aus der Sklaverei und ist eine Flucht vor der Beugehaft der Zuschreibungen. Wer Jazz lebt, lässt den Kopf von der Leine und dem Getrommel seine Nervosität.

Zugegeben, die Orgel klingt schwer nach den 90ern und lässt die sechs Minuten an einigen Stellen etwas träge werden. Doch das Wechselspiel aus hakenschlagendem Schlagzeug und strukturiertem Bass schafft es, bis heute gute Laune zwischen die Ohren zu bringen.

[Hier war mal ein Youtube-Video eingebettet, aber das Video gibt es nicht mehr online…]

Song: Sarcacid Part 1
Interpret: Duke Of Harringay (alias Squarepusher)
Album: Alroy Road Tracks, 1995
Label: Spymania
Preis: kein Download, keine CDs, Vinyl via Discogs gebraucht ab 5 £

Frontpage-Illustration: Luise Schricker

Hier geht’s zu wei­te­ren Tei­len der Serie „Song zum Sonntag“

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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