Jetzt bitte mal nichts denken

Auch in diesem Jahr lockte die „Lange Nacht der Wissenschaften“ tausende Besucher an. Friederike Oertel war dabei, wurde für Minuten zur Oma und versuchte, mal nicht zu denken.

Was nach Science-Fiction aussieht, ist ein Spiel. „Mindball“: Wer nichts denkt, gewinnt. Foto: Fabian Hinsenkamp

Zur „klügsten Nacht des Jahres“ öffneten am vergangenen Samstag 75 Wissenschaftseinrichtungen aus Berlin und Potsdam ihre Türen, um wissensdurstigen Besuchern Einblicke in die Forschung und ihre Ergebnisse zu ermöglichen. Als alteingesessene Geisteswissenschaftlerin der „Rost- und Silberlaube“ wagte ich mich in Begleitung einer Freundin zu diesem Anlass in bis dato unbekannte Wissenschafts-Lebensräume vor: Die Humboldt Graduate School suchten wir uns als erste Anlaufstelle aus, vielleicht weil sie den beeindruckenden Zusatztitel „Berlin School of Mind and Brain“ trägt. Da musste doch was geboten sein!

Das „Kabinett der Illusion“ thematisierte Sinnestäuschungen und Zeitillusionen. Sich drehende Kreise, wackelnde Linien, junge Frauen, die je nach Blickwinkel altern und selbst das Abbild Jesu, das wir nach Betrachten eines unförmigen, schwarz-weißen Bildes durch unsere blinzelnden Augen an der gegenüberliegenden Wand erblickten – all das konnte als optische Sinnestäuschung entlarvt werden. Die sogenannten „visuellen Illusionen“ entstehen, da unser Gehirn äußere Sinnesreize nicht einfach nur wahrnimmt, sondern versucht, diese auf Basis unserer Erfahrung zu erkennen und einzuordnen.

Wenn unser Sehsystem jedoch falsche Annahmen über die Natur eines Objektes trifft, zum Beispiel ein zweidimensionales Bild dreidimensional erfasst, ziehen wir einen falschen Rückschluss über Objekte. Das führt dazu, dass wir im gleichen Bild zunächst Don Quijote und im nächsten Augenblick eine riesige Windmühle sehen.

Minutenlang 70 sein

Unsere Sinne waren verwirrt, wir mussten gegensteuern – Entwirrung! Da kam uns „Mindball“ gelegen. Ein Spiel, bei dem zwei Gegner versuchen, einen magnetisch gesteuerten Ball mittels gedanklicher Konzentration und Entspannung in das gegnerische Tor zu lotsen. Die Gehirnaktivität der Spieler wird über ein Stirnband mit Biosensoren gemessen und auf den Ball übertragen. Wir lieferten uns einen erbitterten, wenn auch für Zuschauende nicht gerade spannenden Kampf: Der Ball bewegte sich lange gar nicht.

Wir versuchten angestrengt, an nichts zu denken, als ob das ginge. Laut übertragener Spannungskurve auf dem Bildschirm waren wir dem Gehirntod nahe – solange bis einem von uns doch ein Gedanke dazwischenkam. Mit gesteigerter Konzentration auf das Nichts-Denken konnte ich den Ball Millimeter für Millimeter in das gegnerische Tor bewegen. Nichts denken kann ziemlich anstrengend sein!

Nächste Station: Langenbeck-Virchow-Haus: Hier wurden wir in eine Art „instant-aging-Anzug“ gesteckt, einen Alterssimulator, der es jungen Menschen ermöglichen soll, die Beschwernisse älterer Menschen nachzuempfinden. Der Anzug besteht aus einer Weste, Arm- und Kniegelenken, Handschuhen, schalldämpfenden Kopfhörern und einer Brille, die das Sehvermögen vermindert und soll die mit dem Alter nachlassende Beweglichkeit simulieren. Aufgabe war nun: Zeitung lesen, Treppen steigen, eine bestimmte Anzahl von Münzen aus einem Portemonnaie fischen. Die plötzliche Einschränkung und das Gefühl der Abgeschiedenheit von der Außenwelt machten alltägliche Aufgaben zur Herausforderung! Die plötzliche Alterung um 30-40 Jahre war definitiv ein Schock – gut, dass es im normalen Leben keine „Instant-Alterung“ gibt.

Planung statt Wühltisch-Wissenschaft

Wir ließen uns weiter durch die kluge Nacht treiben. Hier konnte man sich über freilebende Wölfe in Deutschland informieren, dort über Gesundheitsthemen, die von der Schwangerschaft über verschiedene Diäten bis hin zu Herzrhythmusstörungen und durch Roboter ausgeführte Radiochirurgie reichten. Beinahe erschlagen von dem Themenspektrum, den Infoständen, Vorträgen, Ausstellungsstücken und Mitmach-Experimenten mussten wir schließlich einsehen, dass die Vielfalt und das dargebotene Wissensspektrum der „klügsten Nacht des Jahres“ nicht in einer Nacht zu erfassen ist.

Unser Fazit daher: Um das Angebot den eigenen Interessen gemäß nutzen zu können und damit die Nacht nicht in einem Wühltisch-Ereignis endet, empfiehlt es sich, Zeit in die Planung zu investieren. Denn die lange Nacht hat gezeigt: Ob Medizin, Psychologie, Physik, Politik, Design, Musik, Kunst – das Themenspektrum der Wissenschaften ist schier grenzenlos und hält für jeden etwas bereit. Selbst für alteingesessene Geisteswissenschaftler.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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