Der empörte Student

Morgenstund hat Gold im Mund? Nicht für Max Krause. Er würde morgens lieber ein paar unflätige Beschimpfungen in den Mund nehmen – wenn er nur nicht so müde wäre.

Illustration: Robin Kowalewsky

Illustration: Robin Kowalewsky

Guten Morgen liebe Frühaufsteher,

wisst ihr, ich bin ein umgänglicher Mensch – von mittags bis abends. Morgens brauche ich aber einfach meine Ruhe.Der Wecker klingelt einmal, zweimal, dreimal und mit jedem Mal sinkt meine Laune. Wenn ich dann aus dem Bett krieche und in die Küche schlurfe – die Schrecken des anstehenden Tages schon vor Augen – bin ich sowieso schon spät dran und habe keinen Nerv für ausführliche Zwiegespräche mit dir, liebe Mitbewohnerin.

Du hast erst in zwei Stunden Uni, konntest aber seit sechs Uhr nicht mehr schlafen? Das Leben ist ungerecht und ich fühle mit dir. Das bedeutet aber nicht, dass ich jetzt die Zusammenfassung der vergangenen 16 Stunden deines Daseins hören will. In denen ist nämlich erstaunlich viel Nichts passiert.

Nachdem du fünf Minuten lang mit der verschlossenen Badtür gesprochen hast, hinter der ich mich zwischendurch verschanzt habe, ist wohl auch dir klar geworden, dass ich deine Ausführungen nur mäßig spannend finde. Zur Strafe für mein Desinteresse erinnerst du mich süffisant daran, dass ich heute noch bei unserem Vermieter anrufen soll, um meinen verlorenen Schlüssel nachmachen zu lassen. Danke! Darf ich vielleicht erst einmal richtig die Augen öffnen, ehe du mir ein schlechtes Gewissen machst?

Am U-Bahnsteig steht mir dann das nächste Treffen bevor, diesmal mit dir, mein quirliger Frühaufsteher-Kommilitone. Ich habe schon in den ersten Wochen unseres Studiums beschlossen, deine Existenz zwar zu akzeptieren, nicht jedoch zu beachten. Eigentlich dachte ich immer, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht. Aber heute ist es früh, du bist allein am Bahnsteig und brauchst offensichtlich jemanden, dem du dein übervolles Herz ausschütten kannst.

Selbstverständlich ergehst auch du dich ausschließlich in Belanglosigkeiten. Glaube ich jedenfalls. Nach dem dritten Satz habe ich aufgehört zuzuhören. Alles, was mich davon abhält jetzt in der Bahn einzudösen, ist meine anerzogene Höflichkeit und deine unangenehm quiekende Stimme, die jedes zweite Wort betont als würde es die Welt bedeuten.

Als die U-Bahn schließlich am Bahnhof Dahlem-Dorf ankommt, wartet dort das nächste Ärgernis. Das seid ihr, liebe Baumtöter vom U-Bahnausgang. Den fünf Kilo Totholz, die ihr mir in die Hand drückt, entnimmt mein weiches Hirn Folgendes: Ich soll eine Zeitung abonnieren, die Welt retten, den Henry-Ford-Bau besetzen und irgendein neoliberales Campusmagazin lesen. Leider bin ich nicht Chamäleon genug, um euren geschulten Blicken zu entgehen. Und eine schlagfertige Entgegnung auf eure dubiosen Angebote wird mir auch erst in einer halben Stunde einfallen. Wehrlos nehme ich alles entgegen.

Ich habe nichts gegen euch alle. Wirklich nicht. Aber könnt ihr euch nicht einfach für die erste Stunde, nachdem ich aufgestanden bin, kollektiv in Luft auflösen? Wenn es gar nicht anders geht, dürft ihr danach auch wieder materialisieren. Dann werde ich mit blanken Augen deinen Ausführungen lauschen, liebe Mitbewohnerin, glaubwürdig Interesse an deiner Existenz heucheln, lieber Kommilitone und euch geben, was ihr verdient, liebe Zeitungswegelagerer.

Nur morgens hätte ich gerne meine Ruhe. Klar? Denn so, wie es jetzt abläuft, laugt mich der Weg zur Uni regelrecht aus. Dann komme ich in meiner Vorlesung an – und muss mich erstmal erholen. Indem ich in der ersten Stunde selig schlummere.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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