Ursprünglich wollte sich Mara Bierbach die Zeit nehmen, eine wohldurchdachte Glosse zu schreiben. Genauso, wie sie sich einst vornahm, ihre Masterarbeit zu beenden. Aber dann kam der Sommer.
Eigentlich hatte ich geplant, ein brillanten, auf den Punkt gebrachten, weltbewegenden Essay über die Quarterlife-Crisis im Allgemeinen und die Abschlussarbeitsprokrastination im Speziellen zu schreiben. Über diesen Zustand, in dem man eigentlich scheinfrei ist, seit einem Dreivierteljahr erklärt „ich meld übernächste Woche meine Masterarbeit an“ und stattdessen Serien guckt, Bier trinkt, Gespräche über Gott und die Welt, mit Gott und der Welt führt – und nebenbei die eine oder andere Sinneskrise schiebt. Ja, eigentlich wollte ich aktuelle Studien lesen und seitenweise Bücher pauken, um grandiose, tiefgehende Thesen dazu aufzustellen.
Aber uneigentlich ist jetzt Sommer, die Sonne scheint und das Leben ist zu schön, um es drinnen vor dem Computerscreen zu verbringen. Außerdem schlug Taylor Swift vor, einfach mal die Deadlines zu vergessen und Tanzen zu gehen, als seien wir 22. Deswegen schiebe ich diesen Essay vor mir her – genau wie meinen Studienabschluss.
Grüner Glibber im Adorno-Gewand
Ich bin aber nicht allein. Mein halber Freundeskreis – fast alles von Haus aus ehrgeizige und gut organisierte Mittzwanziger – ist mittlerweile unter die Abschlussprokrastinateure und Langzeitstudenten gegangen. Schließlich kann man das Studienende endlos ausdehnen. Wie diesen komischen grünen Glibber, der in der siebten Klasse DAS Ding war: nach hinten ziehen, noch weiter nach hinten ziehen, nooooch weiter nach hinten ziehen.
Heutzutage müssen ja die Wenigsten von uns mit 25 Jahren Haus, Kinder, und VW-Kombi finanzieren. Man kann* auf die Leistungsgesellschaft scheißen, alibimässig ein paar Adorno-Texte lesen, Nebenjobs machen und ansonsten am See rumliegen.
Ich habe im Moment ungefähr so viel Lust auf den „echten“ Arbeitseinstieg wie auf eine Wurzelbehandlung oder vier weitere Jahre Angie als Kanzlerin (Wo-ho! Eine politische Referenz für den Tiefgang des Textes). Ich habe kein Interesse daran, Personalmenschen ins Gesicht zu lügen und zu erklären, meine größte Schwäche sei, dass ich zu hart arbeite. Null Bock, mit quatrolingualen 22-Jährigen, ihren zehn Auslandsaufenthalten und 15 Praktika mithalten zu müssen. Mit Leuten, die, um dem Chef Einsatz zu zeigen, bis 21 Uhr Tetris auf der Arbeit spielen. Ich will meine Sommer nicht in dunklen Büros verbringen. Unternehmensberater sollte man auf den Mond schießen. (Letzteres passt nur peripher in den Kontext, aber es kann nicht oft genug gesagt werden.)
Ich könnte meine Ansichten jetzt sicher mit schlauen philosophischen Argumenten oder ökonomischer Wachstumskritik untermauern, oder zumindest einer lustigen Textzeile von Tocotronic, aber das bräuchte Recherche – Googlen und Lesen und so. Ich könnte komplexe Schlüsse ziehen. Sagen, dass das Slackertum** ja eigentlich eine politische Bewegung ist, die sich den Prinzipien der Leistungsgesellschaft widersetzt: Besser chillen als im Vorstandsvorstand die Umwelt vergewaltigen und so. Aber das klingt so anstrengend…
Also nö. Das Wetter ist schön, die Spree ist nah, und ich hab noch ’nen Sixpack Bier im Kühlschrank. Kampf dem Leistungsdruck! YOLO*** und so…
*Kann ist hier natürlich, gerade wenn man sich Richtung Griechenland begibt, eine eher optimistische Bezeichnung – aber das Faß mach ich heute mal nicht auf.
**Slacker ist neudeutsch für Mensch mit (über)entspannter Lebensweise. Einige Beispiele: Menschen, die mittags das erste Bier aufmachen ohne Alkoholiker zu sein. Tai aus „Clueless“ vor ihrem Make-Over. Die Protagonisten aus jedem Kifferfilm. Und eben die meisten Menschen, die im Park auf ’ner Slackline rumhopsen.
***Kinners, müsst ihr echt in den Fußnoten nachgucken, was YOLO heißt? Akronym für „You only live once“ . Jugendwort des Jahres 2012. Carpe Diem für alle, die in der Schule lieber Französisch gelernt haben.
Nice! Geht mir übrigens auch gerade so..