Drei Wochen Offline

Zunächst sollte es mit dem Fahrrad nach Estland gehen. Dann kam alles anders und trotzdem erreichten wir unser Ziel. Ein Widerspruch? Robert Ullrich fand unterwegs noch mehr.

Irgendwas ist immer. Foto: Robert Ullrich

Drei Wochen auf dem Rad, das hatten wir geplant. Über Polen nach Litauen, Lettland, Estland: 3000 Kilometer. Nach drei Tagen war das Knie meines Reisebegleiters zu Bindegewebsbrei verarbeitet. Bei Kilometer 300 hinter der polnischen Grenze ging nichts mehr. Also rein in den Zug, nach Masuren, von den Beinen zu den Armen wechseln und paddeln.

Boote zum Verleih gab es zur Genüge, einsame Seen für spontane Nachtcamps ebenso. Nach einer Woche Kanufahren diktierte das Knie dann wieder die Route. Gedrosselt radelten wir noch 1000 Kilometer Wegstrecke auf einer spontanen Alternativroute. Nordwärts zur Küste, Schlafsack im Strandsand – es hätte schlimmer kommen können.

Flucht vor der Zivilisation

Änderungen waren für uns Individualtouristen überhaupt praktisch schon im Plan vorgesehen. Unser Ziel waren ohnehin ein anderes, nämlich der hoffnungslose Versuch, der Zivilisation zu entfliehen: kein Strom, keine Handys, kein Internet. Die romantische Idee, im Unterwegs-Sein uns selbst zu finden. Städte stießen uns ab wie umgekehrte Magneten, ebenso Ansammlungen von Touristen.

Doch der letzte Punkt allein ist ungefähr so erfolgsversprechend wie seinem eigenen Schatten zu entfliehen: Wo Touristen hinkommen, ist eben auch der Tourismus. Sowieso: Das mit dem Zivilisationsentzug gilt nur so lange, wie wir dank unserer Ausrüstung aus dem heimischen Campingladen unseren Teil Zivilisation in den Wald tragen. Unsere Selbstfindung versandet beim starren Blick ins allabendliche Lagerfeuer, wobei die schillernde Formenvielfalt der Flammen jeden tieferen Gedanken im Keim erstickt.

Der wahre Luxus zeigt sich in der Freiheit von Telefon und Internet – den modernen Geißeln der Menschheit. Viel größerer Luxus wäre es wohl, auch mit ihnen die eigene Handlungsfreiheit zu behalten. Unsere Flucht vor den Geräten legt unsere tägliche Überforderung mit ihnen bloß- Wiedersprüche allerorten. Zum Glück entziehen wir uns als aufrichtige Individualtouristen den anderen Menschen. Da sind wir mit den Widersprüchen, die Urlaube wie diese mit sich bringen, allein.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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