Der Anti-FU-Student

Viele sprechen seinen Namen Englisch aus, nur wenige wissen überhaupt etwas über sein Leben. Warum auch? Der Namensgeber der Garystraße war ein Anti-FU-Student. Von Florian Schmidt

Die Garystraße verläuft vom U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim an der Clayallee bis zur Thielallee. Foto: Christopher Hirsch

Villenbesitzer, Ingenieur, Verbindungsmitglied – auf den typischen FU-Studenten, der täglich in der Unibibliothek in der Garystraße sitzt, trifft das alles eher nicht zu. Auf den Namensgeber besagter Straße hingegen schon: Obwohl Max Gary hinter einem der bekanntesten Straßennamen des Dahlemer FU-Campus steckt, könnte er kaum weiter entfernt sein von denjenigen, die heute die geschlängelte Straße zwischen Clay- und Thielallee bevölkern.

Max Gary wurde am 15. August 1859 als Sohn eines ukrainischen Händlers aus Odessa in Erfurt geboren. Dort absolvierte er nach der Schule zunächst eine Zimmermannslehre. Wie viele junge Leute heutzutage zog es ihn anschließend mit Anfang 20 zum Studieren nach Berlin – jedoch nicht um sich mit einem der Fächer zu beschäftigen, die an der knapp 100 Jahre später gegründeten FU hoch im Kurs stehen. Gary widmete sich weder den Geisteswissenschaften noch der Politologie. Er begann an der Technischen Hochschule, einem Vorgänger der heutigen TU, Ingenieurwissenschaften und Architektur zu studieren; zwei Fächer, die an der FU nie angeboten wurden.

Mit Beginn des Studiums trat Gary außerdem in die Studentenverbindung Corps Saxonia Berlin ein, einer schlagenden Verbindung, die heute lediglich noch als Ableger in Aachen existiert. Auch das ist völlig atypisch für die Passanten der Garystraße im Jahr 2013: Nur sehr wenige männliche Studenten in Berlin sind Mitglied in einer Verbindung, an der FU ist das Tragen von Couleur gar von der Unileitung unerwünscht.

Sein Studium brachte Gary innerhalb von vier Jahren erfolgreich hinter sich, Architekt wurde er aber nicht. Stattdessen nahm er nach seinem Studium eine Assistenzstelle an der Königlichen Prüfstation für Baumaterialien an. Nach dem Tod des Leiters wurde er 1895 neuer Chef des Instituts. Als dieser baute sich Gary einen guten Ruf auf, weil er sich sehr um die Umstrukturierung der Prüfstation kümmerte. Nebenbei brachte er die Baustoffkunde durch einige wissenschaftliche Abhandlungen entschieden voran.

Der Erste unter Dahlems Reichen

Sein Job war offensichtlich lukrativ. 1902 ließ sich Gary das erste Herrenhaus in der neuen Villenkolonie Dahlem bauen. Das prächtige Haus steht noch heute am Rand des großen Boulevards Unter den Eichen, also unweit der damaligen „Straße 6“, die später nach ihm benannt wurde. In seiner schicken Wohngegend brachte sich Gary stark ins öffentliche Leben ein: Er war Mitglied der Gutsvertretung Domäne Dahlem, außerdem der erste Vorsitzende der Freien Vereinigung Dahlemer Villenbesitzer – ebenfalls Positionen, die für die meisten heutigen FU-Studenten wohl eher nicht in Frage kommen.

Viele von ihnen wissen 90 Jahre nach Garys Tod gar nichts über den Mann, der für die Adresse des Henry-Ford-Baus und der Unibibliothek steht. Einige sprechen seinen Namen gar Englisch aus. Verdenken kann man es ihnen kaum: Max Gary ist heute wohl nur noch Baustoffexperten ein Begriff, mit dem Leben des durchschnittlichen FU-Studenten hat dieser Mann so gut wie nichts zu tun. Aus heutiger Sicht eines Studenten in Dahlem ist Max Gary darum wohl vor allem eines: der Anti-FU-Student.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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