Eine Metropole zwischen den Kontinenten

Istanbul im August: Brüllende Hitze, hektische Menschen an jeder Ecke und muslimische Bauten. Wasserwerfer und bewaffnete Polizisten erinnern an den Protest gegen die Regierung. Ein Reisebericht von Laura Bertram

Der Taksimplatz in Istanbul. Foto: Laura Bertram

Die einzige Stadt der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt, mit 14 Millionen Einwohnern die viertgrößte Metropole auf Erden – das sagt der Reiseführer über Istanbul. Aber das allein macht das ehemalige Konstantinopel nicht zu etwas Besonderem. Weniger ihre Größe als vielmehr die kleinen Dinge des Alltags machen den Charme der Stadt am Bosporus aus.

Schaut man in Istanbul nach der U-Bahn, so sucht man vergeblich. Hier gibt es ganz andere Verkehrsmittel. Am beliebtesten ist der Dolmuş, eine Art Sammeltaxi, bei dem jeder mitten auf der Straße ein- und aussteigen kann – und das zu Buspreisen. Wichtig im Istanbuler Stadtverkehr ist außerdem die Fähre. Mit ihr überqueren täglich tausende Menschen innerhalb von 45 Minuten den Bosporus, und kommen vom asiatischen in den europäischen Teil Istanbuls. Mit Wind im Haar wird man gleich von der Größe der Stadt und der Weite des Meeres überrumpelt.

Die Menschen sind noch nicht zufrieden

Angekommen im europäischen Teil gibt es an jeder Ecke gegrillte Maiskolben und Sesamkringel, die Simits. Der Adhan, der Gebetsruf der Muslime, schallt durch die Straßen voller Menschen und erinnert an den muslimischen Glauben, der auch architektonisch das Stadtbild prägt.

Beeindruckendstes Beispiel dafür ist die Blaue Moschee, die durch ihre Größe und ihre aufwendige Bauart fasziniert. Ein wundersames Bild bieten die in wallende Gewänder eingehüllten Touristen, die mit ihren Kameras die Verzierungen an Decke und Wänden festhalten, zwischen den betenden Gläubigen.

Weiteres Highlight ist der Gezi-Park im europäischen Teil der Stadt. Der Weg zu ihm führt durch enge Gassen, durch die die Menschen gemütlich schlendern und Eis essen oder zur Arbeit hetzen. Ich senke den Blick auf den Boden und entdecke vor einigen Geschäften Graffitis vom Gesicht des türkischen Ministerpräsidenten. Er hat einen schwarzen Balken über den Augen, ich schaue Ergodan ins Gesicht. Unter ihm prangt in fetten Buchstaben ein„WANTED“. Der unbeliebte Regierende wird gesucht, die Bevölkerung bleibt wütend. Auch wenn der Streit um den Gezi-Park gewonnen wurde und die kleine Grünanlage der Stadt erhalten bleibt, sind die Menschen nicht zufrieden.

Erinnerungen an Fernsehbilder

Nachdem die Polizei die Proteste gewaltsam niederschlug, sind die Straßen nun frei von Demonstrierenden. Die Bilder aus dem Fernsehen wirken nicht mehr real, jetzt, da ich selbst dort stehe, wo die Protestierenden standen.

Gänzlich verschwunden sind die Überreste der Proteste jedoch nicht. Erdogan hat mehrere Hundertschaften der Polizei rund um den Taksimplatz positioniert. Mit Waffen ausgerüstet beobachten sie die Lage. Neben ihnen stehen etwa zehn Wasserwerfer, bereit für den Einsatz. Sie jagen mir ein mulmiges Gefühl ein, einige andere Touristen bleiben vor ihnen stehen und fotografieren sie. Die Istanbuler gehen an den Polizisten vorbei, tun so, als seien sie nicht da. Sie lassen sich nichts von ihrer Angst anmerken, allerdings scheint es, als seien sie eingeschüchtert, denn die Widerstände bleiben aus.

Das Foto ist aufgenommen am Taksimplatz. Vor mir sitzen Polizisten zwischen Zivilen, sie wirken entspannt. Gegenüber des Platzes hängt vor dem Atatürk-Kulturzentrum eine Flagge der Türkei. Neben ihr weht eine zerschlissene Fahne. Sie zeigt den Begründer der modernen Republik Türkei: Atatürk, der auch lange nach seinem Tod noch Kultstatus genießt. Als sei es ein Symbol für Erdogans Vorgehen gegen die Proteste, zerriss der Wind den „Vater der Türken“ und lässt ihn hilflos in zwei Hälften flattern. Doch Kaputtes kann auch repariert werden. Als ich zwei Tage später den Platz besuchte, schaut Atatürk prüfend auf mich herab.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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