Vergessene Spuren des Kolonialismus

Die Ausstellung „Manufacturing Race“ beschäftigt sich mit der kolonialen Vergangenheit des Gebäudes in der Ihnestraße 22. Heute gehört es zum Otto-Suhr-Institut. Von Mirja Gabathuler.

Gedenktafel
Gedenktafel an dem Haus in der Ihnestraße 22. Die Verbrechen des deutschen Kolonialregimes werden hier nicht erwähnt. Foto: Mirja Gabathuler

Die Geschichte des Gebäudes an der Ihnestrasse 22 findet heute nur noch auf einer schlichten Gedenktafel neben der Eingangstür Platz. Dass auf dem Dachboden dieses Gebäudes einst 4000 menschliche Schädel gelagert wurden, ist sich kaum einer der FU-Angehörigen bewusst, die täglich durch die alte Holzpforte ein- und ausgehen. Denn wo heute Studierende der Politikwissenschaft die hellen Gänge bevölkern, hatte zwischen 1927 und 1943 das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) seinen Sitz, eine Forschungsstelle für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.

Hier klassifizierten Wissenschaftler Menschen nach ihren „Rassen“, vermaßen menschliche Schädel und schlüsselten menschliches Erbgut auf. Sie legten so nicht nur den Grundstein für die wissenschaftliche Legitimation der nationalsozialistischen Verbrechen, sondern stärkten auch der rassistischen Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs den Rücken.

Bilgin Ayata geht fast täglich an der Gedenktafel vorbei, auf der davon nichts vermerkt ist. Das Büro der wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Otto-Suhr-Instituts (OSI) liegt im Erdgeschoss des Hauses Nr. 22. Bilgin Ayata spricht von „kolonialer Amnesie“: Der Kolonialismus ist in ihren Augen ein Kapitel der deutschen Vergangenheit, das heute lieber ausgeblendet wird. „Tagaus, tagein beschäftigen wir uns mit dem Holocaust“, sagt sie, „aber daran dass der erste deutsche Völkermord in Deutsch-Südwestafrika stattfand, wird kaum mehr erinnert.“

Deutsch-Südwestafrika war bis zum ersten Weltkrieg eine deutsche Kolonie im heutigen Namibia, eineinhalbmal so groß wie das Deutsche Kaiserreich. Ein Teil der Gebeine, die einst in der Ihnestrasse aufbewahrt wurden, stammt von Angehörigen des Volks der Herero, deren Aufstand die deutschen Kolonialherren vor gut hundert Jahren blutig niederschlugen.

Aus dem Seminar ins Foyer

„Jeder Ort in Deutschland hat eine koloniale Vergangenheit“, sagt Owen Brown, Masterstudent der Internationalen Beziehungen aus Kanada. Um mit dieser Vergangenheit umgehen zu können, müsse sie erst einmal aufgedeckt werden. Er hat daher gemeinsam mit vier weiteren Studierenden des OSI aus Deutschland, Brasilien und den USA die Ausstellung „Manufacturing Race“ organisiert.

Die Idee für die Ausstellung ging aus einem Seminar zum Thema Postkolonialismus bei Bilgin Ayata hervor. Während andere Studierende in die Ferien reisten, verbrachten sie ihre Semesterferien damit, Archive zu durchstöbern und Interviews zu führen. Zwölf Tage lang präsentieren sie nun im Eingangsbereich des OSI die Ergebnisse ihres Forschungsprojekts.

In Text und Bild ist auf den schwarzen Stellwänden im vorderen Teil der Ausstellung noch einmal die Geschichte der Ihnestrasse 22 aufgezeigt. Zu sehen sind unter anderem Reisedokumente und Fotografien des prominenten Rassenforschers und Direktors des KWI, Eugen Fischer, von seinen Reisen nach Namibia.

Ein zweiter Teil der Ausstellung widmet sich der Erinnerungspolitik aus gegenwärtiger Sicht. So wird zum Beispiel der Frage nachgegangen, wie Studierende und Professoren des OSI heute mit der kolonialen Vergangenheit des Gebäudes umgehen. Eine Studentin fordert im Interview, dass die Vergangenheit der FU-Gebäude stärker thematisiert werden müsse. Ein anderer Student meint hingegen achselzuckend, man solle doch die Geschichte endlich Geschichte sein lassen und sich der Gegenwart zuwenden.

Neue Gedenktafel oder ein Internetauftritt?

„Such an important exhibition!“, steht anonym im Gästebuch von „Manufacturing Race“. So klein die Ausstellung auch ist, findet sie offensichtlich doch Anklang. Einige Studierende scheinen sich hier nur die Minuten bis zur nächsten Veranstaltung totzuschlagen. Andere lassen sich mehr Zeit, etwa die zwei Studentinnen der Politikwissenschaft, die kopfschüttelnd die Reihe der vorgestellten Wissenschaftler des KWI abschreiten. Die Ausstellung habe sie beide aufgerüttelt: „Wir wussten davon gar nichts.“

Am nächsten Donnerstag schließt die Ausstellung „Manufacturing Race“ mit der Vorführung eines Films von FU-Studierenden über die Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Zeit, sich nun gemütlich zurückzulehnen? Bilgin Ayata und Owen Brown antworten einstimmig: „Auf gar keinen Fall.“ Sie haben die Diskussion nun von unten herauf angestoßen, jetzt liege es an der Universität, das Thema aufzugreifen.

„Für uns Beteiligte ist es enorm wichtig, dass von unserer Ausstellung etwas Permanentes bleibt“, meint Owen Brown. Ihm schwebe etwa ein Internetauftritt oder eine neue Gedenktafel vor, damit die Geschichte nicht in einigen Jahren wieder vergessen sei. Einige Vertreter der Universität hätten bereits Interesse signalisiert, meint Bilgin Ayata, konkret sei aber noch nichts. Auf die Frage, ob sie damit zufrieden sei, antwortet die Politikwissenschaftlerin: „Es ist ein Beginn“.


Ausstellung Manufacturing Race (in englischer Sprache):
Otto-Suhr-Institut, Ihnestraße 21
Mo-Fr 9-20 Uhr / Sa 10-18 Uhr / So geschlossen
„Guided Tours“ mit den Projektbeteiligten: Dienstag, 12. November, 13-15 Uhr und Donnerstag, 14. November, 17-18 Uhr
Abschlussabend mit Filmvorführung und Diskussion (in deutscher Sprache): Donnerstag, 14. November, 18 Uhr
Weitere Infos: manufacturingrace.wordpress.com

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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