Der Empörte Student

Alex Blume schenkt seinen Kommilitonen ein offenes Ohr – und muss für seine Großherzigkeit bitter büßen. Eine Anklage.

Illustration: Robin Kowalewsky

Liebe Suchende nach den großen Antworten des Lebens,

Dozenten, Lehrer, Eltern und die Scheißviecher aus der Sesamstraße behaupten, es gäbe keine dummen Fragen. Doch sie lügen uns an. In einer utopischen Parallelwelt existieren keine dummen Fragen. Dumme Fragen
hingegen existieren an der FU. Und es sind viele.

Gehen wir eine beliebige Seminarsitzung durch. Sie beginnt mit Zeitverschwendung durch Orga-Fragen, jedes Mal: »Muss ich denn eigentlich eine Hausarbeit schreiben? « (Betonung auf ›ich‹). Den Tränen nahe: »Warum klappt denn Blackboard nicht?« Oder tatsächlich ernst gemeint: »Herr Lehrer, Herr Lehrer, und was passiert, wenn ich 30 LP Biomechatronik und 60 LP Altertumswissenschaften studiere und noch eine Leistung in meinem Fachwerkarchitekturmodul brauche?« Antworten darauf sind natürlich genauso hilfreich wie die Fragen selbst. Der Dozent hat doch keine Ahnung von eurem Privatkack, ihr Affen!

Nach 20 Minuten dieses geistreichen Gedankenaustauschs kommt die nächste Spezies Frager zu Wort: Die kleinen Genies, die keine Frage, dafür aber den Text gelesen haben. Sie liefern eloquente Textzusammenfassungen ab und verkleiden sie durch ein »oder?« am Ende als Frage. Hat auch den Vorteil, dass es dann vom stolzen Dozenten noch ein Lob als Leckerli gibt. Fein gemacht.

Der Dozent fährt fort, erklärt Grundlagen eines Themas. Nun ist die Stunde derer gekommen, die die ganze Zeit über gepennt haben: Sie melden sich und fragen nach just erklärten Sachverhalten, hören wieder nicht zu – und fragen dumm-glücklich grinsend ein weiteres Mal. Jemand wirft ein »Ist das
denn klausurrelevant?« in den Raum – die hübsche Symphonie der dummen Fragen wagt eine Repetitio vom Beginn der Sitzung.

Selbstverständlich haben auch spätpubertierende Freizeithumoristen in unserer lustigen Fragerunde ihren großen Auftritt. Festhalten: »Kommt kanonisch von Kanone?« Welche Reaktion wäre hier angebracht? Panisches Lachen? Raum verlassen? Kopfnuss? Kitzelfolter? Ist dem Kommilitonen
denn nicht bewusst, was er damit über sich aussagt? Braucht er Hilfe? Wir wissen es nicht.

Nach einem Moment der peinlichen Stille scheint dann endlich die Möglichkeit zu bestehen, die restliche Sitzung könne reibungs- und vor allem fraglos weitergehen. Nix da. Eine halbe Stunde vor dem Ende kommt die für diesen Tag wertvollste Beitragsleistung: »Gibt’s ‘n Skript? Oder muss ich mitschreiben?« Spätestens dann möchte ich mir den geistigen Schattenparker schnappen und selbst mal eine Frage stellen: »Entschuldigung«, würde ich gern zu ihm sagen, »dürfte ich bitte mal dein Abiturzeugnis sehen? Da stimmt doch irgendetwas nicht.«

Ihr fragt und fragt, anstatt zuzuhören oder nachzudenken. Anstatt euch selber mit euren jämmerlichen Wehwehchen auseinanderzusetzen. Wie bewerkstelligt ihr euren Alltag, wenn ihr schon in simpelsten Einführungsseminaren nicht wisst, was ihr wann tun sollt, wie ihr es wo warum tun sollt und wie überhaupt irgendetwas funktioniert? Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Denkt da mal drüber nach. Oder fragt euren Philosophieprofessor.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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