Härter, schneller, stärker

Der Serienkult ist ausgebrochen. Spätestens seit „Breaking Bad“ kann Fernsehen Bildungsgut sein. Ein Forschungsprojekt an der FU will herausfinden, warum. Von Sophie Krause und Mara Bierbach

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“Mad Men”, “Breaking Bad” und “Lost”: Die Serie als Kulturgut. Illustration: Luise Schricker.

Als Tobey Maguire 2007 zum dritten Mal als Spiderman an hauchdünnen Spinnennetzen durch die Straßenschluchten New Yorks flog, sagten ihm nicht mehr ein, sondern gleich drei Superschurken den Kampf an: die Reinkarnation des Mörders seines Onkels, ein zum Monster mutierter eifersüchtiger Kollege und sein Gegenspieler aus dem ersten Film, der grüne Kobold. Mehr Gegner, mehr Drama. Auch die Erfolgsserie »Homeland« zog in ihrer kürzlich ausgestrahlten zweiten Staffel auf der Tragödienskala deutlich an: mehr Leidenschaft, mehr Verschwörungen, mehr Tote. Kanye West würde sagen: „Harder, better, faster, stronger.“ Nun ja, vielleicht nicht unbedingt „better“.

Für die interdisziplinäre Forschergruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ sind Film oder TV-Serien nicht nur Unterhaltung, sondern auch Forschungsmaterial. Frank Kelleter, seit 2012 Professor für Kulturwissenschaft am John-F.-Kennedy-Institut, ist Mitbegründer des Projekts. Als Experte für Fernsehserien und Filmfortsetzungsreihen – neudeutsch auch Franchise genannt – kennt er das „Harder-faster-stronger“-Phänomen. „Serien stehen vor dem Problem, dass sie zwei Dinge tun müssen, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen: Sie müssen wiedererkennbar bleiben und gleichzeitig Innovation leisten, also als kommerzielle Formate sicherstellen, dass man auch nächste Woche wieder einschaltet.“ Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, greifen Macher oft zu einem banalen Mittel: Überbietung. „Man macht genau das, was man schon immer gemacht hat, nur in größeren Mengen“, sagt Kelleter. „Es gibt plötzlich nicht mehr einen Schurken, sondern zwei oder drei.“

Schon seit 2010 erkundet Kelleter mit Kollegen aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Fächern die Formen, Dynamiken und Funktionen seriellen Erzählens in der aktuellen Populärkultur. Sprich: Wie hat sich die Serie seit dem 19. Jahrhundert entwickelt? Welchen Einfluss auf unseren Alltag haben Serien? Prägen sie, wie wir unsere soziale Realität wahrnehmen? Serien, darunter verstehen die Forscher Filmfortsetzungen und -remakes, Fernsehserien wie „Breaking Bad“, „Lost“ oder „Tatort“, Computerspiele, Comics und Fortsetzungsromane. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt mit insgesamt vier Millionen Euro. Drei von sieben aktuellen Teilprojekten sind an der Freien Universität angesiedelt.

Ein Projekt von seltener Aktualität: Serielle Erzählungen dominieren die Unterhaltungsindustrie. In Hollywood gelten Fortsetzungen von Erfolgsfilmen wie „Iron Man 3“ oder „Fast and Furious 7“ als sichere Erfolge. Der Buchmarkt wird von Serien wie „Twilight“ oder „Die Tribute von Panem“ beherrscht, die dann wiederum zu Filmfranchises werden. Die neueste Auflage von „Grand Theft Auto“ bricht zur Zeit alle Verkaufsrekorde der Videospielindustrie. Comicserien liegen total im Trend. Und die Fernsehserie erfreut sich dank Formaten wie „The Wire“, „Breaking Bad“ und „Mad Men“ einer Aufwertung zum Bildungskulturgut.

Ursprünglich gegründet wurde die Forschergruppe an der Universität Göttingen aus wissenschaftlicher Unzufriedenheit. „Viele von uns waren frustriert, dass bei der Forschung über Serien oft mit Werkzeugen und Verständniskategorien gearbeitet wird, die ihrer kulturellen Relevanz und dem, was sie tun, nicht gerecht werden.“ Gehe man mit den Methoden der klassischen Literaturwissenschaft an eine Serie heran, ignoriere man, dass die Serie – im Gegensatz zu einem einteiligen Roman – ein sich dynamisch entwickelndes, offenes Werk sei, so der Serien- Experte Kelleter. Die Macher einer Serie müssten ständig die eigene Serienvergangenheit reflektieren: Welche Handlungsstränge sollen weiter aufgegriffen, welche fallen gelassen werden? Je länger eine Serie läuft, desto mehr eigene Historie muss sie bewältigen.

Serien wie „Seinfeld“ und „The Sopranos“ beschäftigen sich deshalb in späteren Staffeln immer mehr mit sich selbst, sie werden immer meta-reflektierter. „Man muss bei seriellen Formaten auch immer in Rechnung stellen, dass sich die Serie in direkter Rückkopplung zu ihrer Rezeption entwickelt“, ergänzt Kelleter. Ein Paradebeispiel dafür ist „Lost“. Die Mysteryserie von J.J. Abrams und Damon Lindelof erfreute sich eines großen Publikumserfolgs. Auf Webseiten wie Lostpedia versuchten tausende von Fans, die neusten Informationshäppchen zum Geheimnis der Insel zu entschlüsseln und so den Ausgang der Serie vorherzusagen. Dadurch beeinflussten sie, welche und wie viele Hinweise die Serienmacher in den nächsten Folgen ausstrahlten

Wer jedoch glaubt, das Phänomen der aktiven Fanpartizipation sei erst durch das Internet zur Praxis geworden, der irrt. Tumblr, Twitter, Life-Journal und Co. Haben Fankultur zugänglicher, schneller, lauter, selbstbewusster und einflussreicher gemacht – sie aber nicht neu geschaffen. „Das Internet hat qualitativ nichts Neues für die Serienästhetik eingeführt“, sagt Kelleter. „Schon bei den allerersten Feuilleton-Romanen gab es nach den ersten Episoden Leserbriefe an die Zeitung.“ Das Internet hat für Kelleter eine ganz andere Auswirkung auf die Fernsehserie. Die Tatsache, dass das Internet das Fernsehen als Leitmedium abgelöst habe, sei Auslöser für den Boom anspruchsvoller Qualitätsfernsehserien wie „The Sopranos“ oder „Breaking Bad“ gewesen. „Die Art und Weise, wie das Fernsehen auf das Aufkommen des Internets reagiert, kann man durchaus damit vergleichen, wie die Malerei auf das Aufkommen der Fotografie reagiert hat“, erklärt der Serien-Experte, „die Geburt eines neuen Mediums ändert das Selbstverständnis und den Status bestehender Medien. Beim Fernsehen hat das auch etwas mit sozialer Aufwertung zu tun.“

Dass gleichzeitig immer plakativere, qualitätslosere Serienformate auf den Markt kommen, ist ihm nicht entgangen. Für Kelleter sind Trash- Reality-Shows, wie „Schwiegertochter gesucht“, und Qualitätsserien zwei Seiten derselben Medaille: Das Fernsehen kämpft um Aufmerksamkeit, indem es qualitative Extreme forciert. Trash-TV-Sternchen Snooki und Walter White aus „Breaking Bad“ haben also mehr gemeinsam als eine Affinität zu Suchtstoffen – sie sind Symptome eines neuen Zeitalters der Fernsehserie.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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