Klagen um zu bleiben

Steigende Mieten, sanierte Fassaden – der Berliner Wohnungsmarkt ist im Umbruch. Wie weit kann der Kampf um Wohnraum gehen? Unfreiwillig fand eine Studierenden-WG eine Antwort. Von Robert Ullrich

Klagen-WG

Kathrin (l.), Elise (r.) und ihre WG zogen gegen ihre Vermieter vor Gericht. Foto: Fabienne Bieri

Als im Herbst 2006 die Mitglieder der Wohngemeinschaft in der Sonnenallee ihren Mietvertrag unterschreiben, ist ihr Kiez noch ein anderer: Nord- Neukölln gilt als „Problembezirk“, die einzige Szenekneipe in der Weserstraße – das „freie Neukölln“ – wird gerade eröffnet. Am Landwehrkanal riecht es nach den schwefeligen Abgasen der Kohleöfen. Sechs Jahre später öffnet Kathrin, die gerade in der Endphase ihres Bachelorstudiums an der FU steckt, den WG-Briefkasten. Sie findet einen Brief vom Vermieter. Aus „persönlichen Gründen“ sei das Haus in der Sonnenallee an einen privaten Immobilieninvestor verkauft worden.

Bereits zwei Wochen später kommt Post vom neuen Eigentümer. Die Cavere Estate GmbH schickt eine Abmahnung. Der Grund: „unbefugte Untervermietung“. Kathrin soll den anderen WG-bewohnern umgehend kündigen. Der Brief wird Auftakt eines mehr als einjährigen Rechtsstreites zwischen Mieter und Vermieter. David gegen Goliath. Die WG legt Einspruch gegen die Kündigung ein – erfolgreich. Doch aufatmen können die vier Bewohner der WG in der Sonnenallee danach nicht. Kurze Zeit später kündigt der neue Eigentümer die Sanierung des Hauses an. Damit verbunden: eine Mieterhöhung von 25 Prozent. Diesmal ist er es, der vor Gericht zieht, als sich die WG weigert die Erhöhung zu tragen.

„Bei uns in der WG gab es für ein Jahr fast kein anderes Gesprächsthema mehr“, erinnert sich Kathrin, „wir waren pro Tag vielleicht fünf Stunden damit beschäftigt im Internet nach Informationen zur Rechtslage zu suchen und Briefe zu schreiben. In Gedanken hing ich den ganzen Tag an dem Thema. Auch nachts, wenn ich stundenlang wach im Bett lag.“ „Das ist es, was die Hausverwaltung ausnutzt“, fügt Mitbewohnerin Elise hinzu. „Cavere wollte uns systematisch mürbe machen. Ununterbrochen kamen Briefe mit Abmahnungen. Es war ein permanenter Stress, nicht nachzugeben, ständig wach zu bleiben und keine Fehler zu machen.“

Die Cavere Estate GmbH versteht sich laut Homepage als nachhaltiger Immobiliendienstleister, für den Wohnraum gleichermaßen Kapitalanlage und „renditeträchtige Absicherung“ im „Immobilienportfolio“ ist. In Zeiten der Finanzkrise suchen Investoren nach sicheren, langfristigen Anlagemöglichkeiten – und entdecken diese in der Immobilienbranche. Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf so sicher wie die Luft zum Atmen. Hier beginnt der Interessenskonflikt.

Die WG um Kathrin und Elise konnte sich vor Gericht mit Cavere auf eine moderate Mieterhöhung von zehn Prozent einigen. Diese Erhöhung ist an einen zweijährigen Mietdeckel gebunden. Ein Erfolg. „Wohnungen sind nicht nur ein Wirtschaftsgut, sondern es geht hier um Menschen“, sagt Elise.

Mittlerweile hat sich das Gesicht Nord-Neuköllns verändert. Die Bars der Weserstraße lassen sich nicht mehr zählen, die Fassaden in der Sonnenallee glänzen neu. Die notwendige Ausdauer und Nervenstärke, den Weg der Klage zu gehen – wer hat die schon? In der Sonnenallee 63 nur eine weitere Mietpartei. Cavere dürfte das freuen. Ab November tritt für den Rest der Hausbewohner die Mieterhöhung von 25 Prozent in Kraft – eine sehenswerte Renditeentwicklung für die Investorengruppe und ein Glücksfall im Portfolio.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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