An der Charité läuft ein Experiment: Medizinstudierende sollen früher Praxiserfahrung sammeln. Sieben Semester sind bereits in den „Modellstudiengang“ immatrikuliert. Ausgereift ist er aber immer noch nicht. Von Margarethe Gallersdörfer
Die Revolution des Medizinstudiums, sie sollte an der Charité stattfinden. Alles hatte anders werden sollen mit der Abschaffung des Regelstudiengangs und der Einführung des Modellstudiengangs zum Wintersemester 2010: Kein stures Büffeln der Grundlagen bis zum ersten Staatsexamen nach zwei Jahren, mehr selbstständiges Lernen und vor allem mehr Praxisbezug. Sieben Semester Modellstudierende sind immatrikuliert. Doch schon drei Jahre nach dem Start muss ihr Studium nachgebessert werden.
Keine echte Überraschung: Bereits kurz vor der Einführung des Studienganges wurden Stimmen laut, die das Charité-Dekanat beschuldigten, das Konzept überhastet einzuführen. Tatsächlich hat sich einiges in der Praxis als halbgar erwiesen und muss nun in zwei Reformschritten korrigiert werden. So sind etwa Winter- und Sommersemester für »Modellis« momentan noch zwei Wochen länger als für Regelstudierende. Eine Belastung für die Institute ist auch, dass Dozierende mehr unterrichten müssen als im Regelstudiengang. Andreas Winkelmann ist Vertreter einer Liste wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fakultätsrat der Charité und hat errechnet, dass sich die Anzahl der Lehrstunden, die der Charité-Lehrkörper pro Semester halten muss, um ca. 50 Prozent erhöht. „Mit den vorhandenen Ressourcen“, sagt er, „ist der Modellstudiengang so dauerhaft nicht durchführbar.“
Außerdem ist zu hören, die Planer hätten es mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für ein Medizinstudium zunächst nicht so genau genommen. Das hatte die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Bildung und Forschung auch gebilligt: Sie bestätigte die Studienordnung für den Modellstudiengang. In der neu verfassten Studienordnung jedoch müssten die Vorschriften wieder genauer eingehalten werden, berichten Beteiligte am Reformprozess: Zukünftige „Modellis“ könnten sonst bei der Zulassung zum Arztberuf Probleme bekommen.
Angesichts so vieler Baustellen ist es erstaunlich, wie zurückhaltend betroffene Studierende Kritik an der chaotischen Planung äußern. „Sicherlich waren viele Probleme vorher absehbar“, sagt Simon Drees von der FSI Charité und „Modelli“ im sechsten Semester. „Andererseits ist es bei so einem Monsterprojekt auch nicht möglich, von Anfang an alles zu berücksichtigen.“ Simon ist zuversichtlich, dass es keine Schwierigkeiten geben wird, wenn er und seine Kommilitonen zum schriftlichen Teil des Staatsexamens antreten wollen. Um zu verhindern, dass sich angesichts der Komplikationen Panik breitmacht, hat die FSI ein Papier verfasst, das die Gründe für die Reformen erläutert und kursierenden Gerüchten widerspricht, der Modellstudiengang solle wieder abgewickelt werden.
Denn das wäre jammerschade, findet Simons Kommilitonin Kahina Toutaoui. Sie ist im fünften Semester und sagt: „Ich bin überzeugt von diesem Modell.“ Besonders die frühe praktische Erfahrung sei sehr sinnvoll: „Die Studierenden merken schneller, ob der Arztberuf wirklich etwas für sie ist.“ Wie viele ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen studieren Kahina und Simon deshalb nicht nur, sie beteiligen sich auch an der Weiterentwicklung ihres Studiengangs.
Es stehen nämlich nicht nur Reformen an; der genaue Lehrplan für das gesamte Modellstudium ist ebenfalls noch nicht fertig. Acht Semester sind inzwischen in Form gegossen, doch das letzte Jahr des Studienverlaufs muss noch ausgestaltet werden. Simon wirkt optimistisch: „Momentan planen wir unser neuntes Semester.“