Sunday Adekunle Alaye ist Akademiker, Journalist – und putzt an der FU Toiletten. Matthias Bolsinger und Valerie Schönian erzählte er davon wie es ist, nicht gesehen zu werden.
In seinem weißen Anzug sieht Sunday Adekunle Alaye fantastisch aus. Der 37-Jährige kam im Oktober 2012 nach Deutschland, weil man hier günstig studieren kann – sogar noch günstiger als in Nigeria, seinem Heimatland. Dort studierte er zuvor Politik und arbeitete als Journalist bei einem lokalen Nachrichtensender. Nach seinem Bachelorabschluss ging er nach Wales, wo er für die BBC arbeitete und an der Universität in Cardiff unterrichtete. Jetzt ist Adekunle Alaye in Cottbus gelandet, wo er seinen Master macht, danach will er mit seiner Promotion beginnen. Er ist gebildet, intellektuell. An der FU weiß das niemand. Dort tauscht er seinen weißen Anzug vier Mal in der Woche gegen eine blaue Uniform. Sunday Adekunle Alaye reinigt Toiletten.
FURIOS: Was schätzen Sie, Sunday: Wie viele Studierende begegnen Ihnen jeden Tag bei der Arbeit?
Sunday Adekunle Alaye: Ich zähle sie nicht wirklich. Aber wahrscheinlich sind es Hunderte.
FURIOS: Wie viele von ihnen grüssen Sie?
Sunday Adekunle Alaye: Um ehrlich zu sein: Von euch einmal abgesehen waren es vielleicht fünf, seit ich im September hier angefangen habe. Interessanterweise grüssen mich Professoren und ältere Menschen häufiger als die Studierenden. Die schauen mir normalerweise nicht einmal ins Gesicht, geschweige denn, dass sie mich grüssen.
FURIOS: Haben Sie selbst mal versucht, mit Studierenden ins Gespräch zu kommen?
Sunday Adekunle Alaye: Einmal habe ich mit einem über mein Promotionsvorhaben gesprochen, während ich putzte. Der konnte mir meine Geschichte kaum glauben. Das war es aber schon. Manchmal blicken mich die Menschen fast feindlich an. Bisher hat mich das nicht getroffen. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, tut es das schon. Denken die Menschen nicht daran, dass ich auch wie sie ein Student sein könnte? Wer weiß – eines Tages könnte ich ihr Dozent sein.
FURIOS: Warum, glauben Sie, ignoriert man Sie?
Sunday Adekunle Alaye: Da gibt es viele Gründe. Ich glaube, viele halten mich für irrelevant. Da ich Afrikaner bin, spielt sicherlich auch Rassismus eine Rolle. Gegenüber meinen europäischen Kollegen verhalten sie sich womöglich nicht so. Natürlich möchte ich nicht alle über einenKamm scheren. Aber hin und wieder fühle ich mich als Ausländer ziemlich ausgegrenzt.
„Manche blicken mich feindlich an“
FURIOS: Würden Sie an dieser Situation gern etwas ändern?
Sunday Adekunle Alaye: Man kann ein Pferd nur zum Fluss zwingen, aber man kann es nicht zwingen, das Wasser zu trinken. Die Menschen müssen sich ändern, klar. Aber das müssen sie schon alleine tun. Natürlich hätte ich es gerne, dass man hier an der Universität auch mit denen redet, die hier arbeiten, aber keinen anerkannten Job haben.
FURIOS: Haben Sie darüber mit Ihren europäischen Kollegen geredet?
Sunday Adekunle Alaye: Das habe ich versucht. Aber leider sprechen nur wenige von ihnen Englisch. Gebildete Menschen in Deutschland tun das meistens. Daran habe ich bemerkt, dass Putzen in Deutschland ein Job ist, der regelrecht verachtet wird. Das wusste ich vorher nicht.
FURIOS: Ist das in Nigeria anders?
Sunday Adekunle Alaye: Nein, dort wäre es wohl auch nicht wirklich anders. Auch da gibt es Jobs, die nicht anerkannt sind, auch dort werden die Menschen, die solche Arbeiten verrichten, nicht als relevanter Teil der Gesellschaft akzeptiert. Dabei ist diese Annahme so offensichtlich falsch! Wir können nicht alle Akademiker sein. Irgendjemand muss diese Arbeit machen.
FURIOS: Sie aber sind gebildet, haben journalistische Erfahrung. Warum machen Sie dann diesen Job?
Sunday Adekunle Alaye: Weil ich kein Deutsch spreche. Als Journalist bekam ich hier keine Anstellung, weil das überall verlangt wird, sogar bei der Deutschen Welle, einem mehrsprachigen Sender. Dass ich in Nigeria bei verschiedenen TV-Sendern gearbeitet habe, macht keinen Unterschied. Als Reinigungskraft hingegen muss ich kein Deutsch sprechen.
„Wer weiß – eines Tages könnte ich ihr Dozent sein“
FURIOS: Denken Sie, dass diese Aufgabe für jemanden mit Ihren Qualifikationen unangemessen ist?
Sunday Adekunle Alaye: Ich brauche das Geld, um Miete und Versicherungen zu bezahlen. Außerdem hat dieser Job einen klaren zeitlichen Rahmen. Ich werde nicht ewig Toiletten putzen. Sobald ich meinen Master habe, höre ich damit auf. Dann kann ich natürlich eine bessere Arbeit bekommen. Trotzdem: Ich denke nicht, dass es ein schlechter Job ist, Klos zu reinigen.
FURIOS: Was gefällt Ihnen denn daran?
Sunday Adekunle Alaye: Ich bin einfach froh, diese Arbeit zu haben. Deswegen verrichte ich sie mit Leidenschaft. In Nigeria reden wir gern in Sprichwörtern. Eines davon ist: Wenn sich etwas überhaupt zu tun lohnt, lohnt es sich auch, es gut zu tun. Man muss sich vollkommen den Dingen verschreiben, die man macht, egal, ob sie einem Status entsprechen. In jedem Job gibt es etwas zu lernen, mehr Wissen ist nie eine Verschwendung.
FURIOS: Was denken Ihre Freunde in Nigeria darüber, dass sie in Deutschland Toiletten putzen müssen, um über die Runden zu kommen?
Sunday Adekunle Alaye: Manche wissen nicht mal, dass ich hier arbeite. Schließlich bin ich als Student hier. Wenn ich es ihnen erzählen würde, würden sie mir es wahrscheinlich nicht einmal glauben. Ich muss es ihnen aber auch nicht sagen – schließlich fragen sie mich nicht.
FURIOS: Wie wäre es für Sie, diese Arbeit an Ihrer Universität in Cottbus zu machen?
Sunday Adekunle Alaye: Das könnte ich niemals tun! Auf dem Campus dort bin ich sehr anerkannt.
FURIOS: Gibt es unter Ihren Kollegen ähnliche Lebensgeschichten wie Ihre?
Sunday Adekunle Alaye: Keine Ahnung. Bis jetzt hat mich das nicht interessiert. Sicherlich hat nicht jeder eine konkrete Perspektive. Manche sind völlig planlos, andere stehen mit dem Gesetz in Konflikt. Menschen wie sie beeinflussen, wie Immigranten betrachtet werden. Eines Tages ging ich durch die Straßen, als ein Deutscher auf mich zukam und mich fragte, ob ich Drogen verkaufe – das machte mich wütend. Natürlich hat seine Wahrnehmung auch eine gewisse Entsprechung in der Realität. Aber nur deswegen hat er nicht gleich das Recht, mich in dieselbe Schublade zu stecken. Wir müssen alle voneinander lernen, Deutsche und Immigranten.
„In jedem Job gibt es etwas zu lernen“
FURIOS: Was kann man von Ihnen lernen? Was würden Sie den Studierenden gerne mitteilen?
Sunday Adekunle Alaye: Ihr Deutschen habt große Chancen. Chancen, für die ich sehr hart arbeiten musste. Das solltet ihr schätzen! Nutzt eure Möglichkeiten. Jeffrey Steinyer, ein Politikwissenschaftler, sagte: »Bildung ist die Charakterformung eines Menschen und der positive Beitrag dieses Menschen zur Entwicklung seiner Umgebung.« Nutzt eure Abschlüsse, um die Welt um euch herum weiterzubringen, hier an der Universität und außerhalb!
Aufgezeichnet und aus dem Englischen übersetzt von Matthias Bolsinger und Valerie Schönian.