„Wir wollen in einem Jahr 2000 Flüchtlinge therapieren“

Professoren der Charité bilden in Jordanien Ärzte und Psychologen aus, um traumatisierten Flüchtlingen aus Syrien zu helfen. Ute Rekers und Carlotta Voß sprachen mit dem Projektleiter Malek Bajbouj.

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Viele syrischen Flüchtlinge sind durch ihre Erlebnisse traumatisiert. Illustration: Luise Schricker

Jede Woche fliehen tausende Menschen aus Syrien in benachbarte Länder wie Jordanien. Viele von ihnen leiden an Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Im Projekt »CharitéHelp4Syria« bilden Professoren der Charité deshalb jetzt zehn Ärzte und Psychologen zu Traumatherapeuten aus. Die Trainees stammen aus Jordanien, dem Libanon und Syrien und sollen in Flüchtlingslagern und Krankenhäusern zum Einsatz kommen. Unterstützt wird das Ausbildungsprogramm vom Auswärtigen Amt, es soll bis Oktober 2014 laufen. Malek Bajbouj, dessen Eltern aus Syrien stammen, leitet das Projekt. Er ist Professor an der Klinik für Psychiatrie und affektive Neurowissenschaften an der FU und arbeitet im Exzellenzcluster »Languages of Emotion«. Im Gespräch mit FURIOS erzählt er von der prekären Situation der Flüchtlinge und dem Ziel des Projektes.

Furios: Sie sind gerade aus Jordanien zurückgekehrt. Was haben Sie erlebt?

Malek Bajbouj: Das jordanische Gesundheitsministerium hat für uns eine Tour durch Zaatari organisiert, dem größten Flüchtlingscamp des Landes, nahe Amman. Die Zeltbaracken dort reichen bis zum Horizont. Die Menschen stehen vor dem Nichts, ihnen fehlt es an elementaren Dingen. Ich fand es nicht besonders angenehm, dort in einer klimatisierten Limousine durchzufahren.

Furios: Wie haben Sie die Trainees ausgewählt und was ist ihre Aufgabe?

Bajbouj: Wir haben da ein buntes Team zusammengetrommelt. Wichtig waren ausreichende Englischkenntnisse, eine stabile Persönlichkeit und klinische Erfahrung. Die Trainees werden vor Ort während mehrwöchiger Intensivtrainings ausgebildet. Danach helfen sie den Patienten mit medikamentöser Behandlung oder kurzen, aber intensiven psychotherapeutischen Sitzungen, um gegen Albträume und Depressionen vorzugehen.

Furios: Zwei Millionen Syrer sind zurzeit auf der Flucht. Wie viele davon können zehn Ärzte überhaupt behandeln?

Bajbouj: Wir wollen in einem Jahr 2000 Flüchtlinge therapieren. Natürlich ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben das Ausmaß der Situation in Zaatari ja direkt mitbekommen. Allein in Jordanien sind offiziell 550.000 syrische Flüchtlinge registriert, davon sind 20 Prozent traumatisiert oder haben Traumafolgestörungen. Für die gibt es nur etwa 87 Psychiater. Da machen die zehn, die wir ausbilden, schon einen Unterschied. Das ist unser kleiner Beitrag.

Furios: Die EU-Flüchtlingskommissarin Kristalina Georgiewa nannte die jungen Syrer eine »verlorene Generation«, die jahrzehntelang traumatisiert ist. Kann Psychotherapie bei solch einer humanitären Katastrophe überhaupt etwas bewirken?

Bajbouj: Ja, es ist sinnvoll. Stellen Sie sich jemanden vor, der eine Posttraumatische Belastungsstörung hat und deswegen nicht zur Schule geht. Wenn wir ihn behandeln, geht er wieder hin. Oder eine Mutter, die als Folge ihres Traumas an Depressionen leidet und sich nicht mehr um ihre Kinder kümmert. Wenn wir sie behandeln, ermöglichen wir auch den Kindern einen besseren Start ins Leben. Was wir tun, ist eine Investition in die Zukunft. Jeder, den wir heilen, wird jemand sein, der in Zukunft helfen kann, das Land aufzubauen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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