Das letzte Kapitel

Patrick Schnabel verbrachte sein halbes Leben in Dahlem – hier studierte er, wurde zum Buchhändler ausgebildet und eröffnete seinen eigenen Laden. Den muss er jetzt schließen. Von Valerie Schönian

Schnabel Shop

Noch brennt das Licht hinter den Fenstern in der Thielallee. Foto: Valerie Schönian

Zu allen hat sich die Nachricht noch nicht rum gesprochen. „Tut mir Leid, Sie können das hier nicht mehr abgeben“, sagt Patrick Schnabel zu der Dame, die gerade zu der Tür herein kommt und ein großes Paket unter den Arm geklemmt hat. Sie guckt verblüfft, sagt „Oh“ und befördert ihren großen Pappkarton wieder vor den Laden. Sie geht an dem Fenster vorbei und als sie auf das große rote Banner sieht, nickt sie unwillkürlich: „Räumungsverkauf“ steht darauf.

Seit Montag dieser Woche prangt das Schild im Schaufenster der Thielallee 34. Acht Jahre lang hat Patrick Schnabel hier seine Bücher verkauft, nach Weihnachten ist damit Schluss: Der Umsatz ist eingebrochen, er kann das Geschäft nicht mehr halten. Schnabel steht in dem Laden, den er gründete und der seinen Namen trägt. Um ihn herum reihen sich die Regale an der Wand, darin sind die Bücher, die noch keiner kaufen wollte und die Verlage nicht zurückgenommen haben – der Restbestand. Viele liegen nur noch übereinander, sodass man nicht einmal ihren Namen lesen kann. Schnabel schaut sich um. „Natürlich hätte ich gern weitergemacht“, sagt er und zuckt ein wenig mit den Achseln. „Es ist mein Baby, ich hab es aufgezogen.“ Die roten Zahlen aber hätten es nicht mehr zugelassen.

Um zu wissen, warum es so gekommen ist, braucht es keinen Hellseher: „Die technischen Möglichkeiten haben sich vollkommen verändert“, sagt Schnabel. In einer Welt mit Amazon, E-Books und kostenlosen Bücherdownloads ist für einen Laden wie seinen wenig Platz. Einen Vorwurf macht der Buchhändler deswegen niemandem. Sogar er selbst liest elektronisch. „Bücher sind teuer, die Lebenshaltungskosten steigen und vor allem Studierende haben kein Geld.“

Die Studis kamen nicht mehr

Die FU-ler waren das Standbein seines Geschäftes – bis 2012. Da änderte sich das Kaufverhalten. Schnabel geht an den Computer, der auf einem großen Tisch aus dunklem Holz steht. Er gibt ein willkürliches Datum ein. Das Ergebnis: Am 18. Oktober 2012 hatte er 138 Kassenvorgänge, am gleichen Tag, nur ein Jahr später, waren es 73. „Das ist fast die Hälfte“, sagt Schnabel in einem Ton, als glaube er es selbst nicht ganz.

Schnabel ist Anfang vierzig und trägt einen gelben Polo-Pulli, der in Kombination mit seinem weiß-grauen Haar genauso zu dem Proto-Typ eines Buchhändlers passt, wie die zwei dunkelgrünen ledernen Sessel am Fenster. Kein Wunder, denn das ist der Beruf, den Schnabel sein Leben lang ausüben wollte. „Ich war schon immer besser darin, Literatur zu finden, als sie zu verarbeiten“, erzählt er. Auch dann schon, als er noch Jura studierte – an der FU.

Also machte er, mit Diplom in der Tasche, eine Ausbildung zum Buchhändler. Ausgerechnet bei „Schleichers“, dem Laden an der U-Bahn-Station Dahlem-Dorf, mit dem sein „Schnabel-Shop“ einmal konkurrieren sollte. Nach einigen Zwischenstationen in der Branche war es 2005 dann soweit: „Der Raum in der Thielallee wurde frei und ich habe zugeschlagen.“ Schnabel wollte schon immer sein eigenes Buchgeschäft haben, deswegen kämpfte er auch, um es zu retten: bedingungsloses Rückgaberecht, kostenloser Versand, Bücherbestellungen über Deutschland hinaus. Geholfen hat es nichts.

Die Verlage: Totengräber des Printgeschäftes?

Schnabel hegt deswegen aber keinen Groll. „Worauf soll ich denn wütend sein? Keiner hat mir das Geschäft kaputtgemacht, es gibt eben neue Möglichkeiten, es ist eine neue Zeit.“ Und in dieser Zeit sieht Schnabel kaum Hoffnung für die klassischen Buchhändler. „Ich glaube einfach nicht, dass sie eine beruflich stabile Zukunft haben.“ Deswegen hat er sich jetzt einen Job im Verbandsmanagement gesucht.

Einen Bösewicht sieht Schnabel dann aber doch: „Die Verlage sind die Totengräber des Printgeschäftes, wenn sie manches kostenlos ins Internet stellen.“ So habe es zum Beispiel ein Wissenschafts-Verlag mit dem Buch eines FU-Dozenten gemacht. Für den bundesweit vertretenen Verlag ist es kein Verlust, wenn 140 Berliner Studierende das Buch kostenlos lesen statt es zu kaufen. Für Schnabel schon: „Sonst habe ich mehr als hundert Bücher davon verkauft, im letzten Semester kein einziges.“

Ein junger Mann, der sich gerade im Laden umsieht, mischt sich ein. Auch er hat das rote Schild draußen am Laden erst heute entdeckt. Er war öfter hier, trotzdem gesteht er: „Na gut, wenn es die Bücher legal und kostenlos im Internet gibt …“ Schnabel unterbricht ihn. „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, ich kann es verstehen.“ Vielleicht hätte er es ja auch so gemacht.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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